28. Oktober 2025
Kurdische Bewegung kündigt Rückzug ihrer Kräfte aus der Türkei an
Die kurdische Bewegung sieht darin einen Schritt zur Deeskalation und ruft die Türkei zu rechtlichen Reformen auf.
Ziel sei es, den Friedensprozess in eine neue Phase zu überführen.
Die kurdische Befreiungsbewegung hat mit dem vollständigen Rückzug ihrer bewaffneten Einheiten aus der Türkei begonnen. Ziel sei es, den „Prozess für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ in eine neue Phase zu überführen, hieß es am Sonntagmorgen bei einer Pressekonferenz im südkurdischen Qendîl-Gebirge, an der sich Sabri Ok, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK); Vejîn Dersîm von der Serhed-Kommandantur der Verbände Freier Frauen (YJA Star); Devrim Palu, Mitglied des Militärrats der Volksverteidigungskräfte (HPG), sowie rund zwei Dutzend Guerillakämpfer:innen beteiligten, die zuvor in Nordkurdistan im Einsatz waren.
Die kurdische Bewegung erklärte, man wolle damit ein „deeskalierendes und vertrauensbildendes Signal“ setzen. Der Rückzug betreffe alle Guerillaeinheiten, die sich bislang in der Türkei aufgehalten haben. Diese würden in die Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan verlegt, sagte Ok. Er verlas die Erklärung auf Türkisch, Vejîn Dersîm übernahm die kurdischsprachige Fassung. In dem Statement hieß es:
Der Prozess steht an einem kritischen Punkt
„Die anhaltenden Konflikte und Kriege im Nahen Osten stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Zukunft sowohl der Türkei als auch der Kurd:innen dar. Vor diesem Hintergrund hat der vom Präsidenten und dem MHP-Chef Devlet Bahçeli aufgegriffene sowie vom Vorsitzenden Abdullah Öcalan am 27. Februar 2025 öffentlich formulierte Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft eine zentrale Bedeutung gewonnen. Der Prozess befindet sich nun in einer sehr wichtigen und kritischen Phase.
Wir haben unsere klare Haltung gezeigt
In den vergangenen acht Monaten haben wir als kurdische Seite auf Grundlage dieses Aufrufs historische Schritte unternommen. Um ein ruhiges und sachliches Diskussionsklima zu ermöglichen, erklärten wir unmittelbar nach dem Aufruf am 1. März einen Waffenstillstand. Vom 5. bis 7. Mai hielten wir, unter der Führung Abdullah Öcalans, den 12. Kongress der PKK ab. Dabei wurden grundlegende Beschlüsse zur Beendigung der organisatorischen Existenz der PKK sowie ihrer bewaffneten Strategie gefasst. Zugleich wurde festgelegt, dass eine Umsetzung dieser Beschlüsse nur unter direkter Leitung unseres Vorsitzenden Abdullah Öcalans erfolgen kann.
Zwei Monate später, am 11. Juli, wurde unter Bezugnahme auf eine Videoansprache Abdullah Öcalans die Gruppe für Frieden und eine demokratische Gesellschaft unter der Leitung der Ko-Vorsitzenden des KCK-Exekutivrats, Besê Hozat, ins Leben gerufen. Bei einer Zeremonie legte dieser 30-köpfige Rat symbolisch die Waffen ins Feuer und demonstrierte damit unseren entschlossenen Willen zur Umsetzung der Kongressbeschlüsse.
Ein neuer Geist und Wille hat sich herausgebildet
Die vom Vorsitzenden Abdullah Öcalan und der PKK angeführten Schritte haben weitreichende Auswirkungen auf die politische und gesellschaftliche Lage in der Türkei gehabt. Sie haben einen neuen Geist und Willen im Sinne von Frieden und Demokratisierung hervorgerufen. Der mutige und opferbereite Kurs der Kurd:innen für Frieden, Demokratie und Freiheit wurde innerhalb der Türkei wie auch international mehrheitlich mit Respekt aufgenommen.
Wir ziehen alle unsere Kräfte aus der Türkei ab
Trotz unzureichender Reaktionen hat Abdullah Öcalan gemeinsam mit der kurdischen Freiheitsbewegung nun weitere konkrete Schritte eingeleitet, um die gefährliche Lage für die Türkei und Kurd:innen zu entschärfen – und um die Grundlagen für ein freies, demokratisches und gleichberechtigtes Zusammenleben in den kommenden Jahrzehnten zu schaffen. Um die zweite Phase des Prozesses für Frieden und eine demokratische Gesellschaft einzuleiten, haben wir auf Grundlage der Beschlüsse des 12. Kongresses begonnen, unsere gesamten bewaffneten Kräfte aus der Türkei in die Medya-Verteidigungsgebiete zurückzuziehen.
Dieser Rückzug, der potenzielle Gefahren oder Provokationen innerhalb der türkischen Landesgrenzen verhindern soll, erfolgt mit der ausdrücklichen Zustimmung Abdullah Öcalans. Ein Teil der Einheiten, die diesen Schritt bereits vollzogen haben, ist heute hier anwesend und nimmt an dieser Erklärung teil. Auch in besonders sensiblen Grenzregionen, in denen Eskalationen denkbar sind, wurden entsprechende Vorkehrungen zur Deeskalation getroffen.
Der Erfolg hängt von der praktischen Umsetzung ab
Der Einfluss dieser Maßnahmen wird sich in der Praxis zeigen. Dennoch verdeutlichen sie bereits jetzt die Konsequenz und Entschlossenheit, mit der wir die Beschlüsse des 12. Kongresses umsetzen.
Politische und rechtliche Schritte dürfen nicht aufgeschoben werden
Wir bekräftigen nochmals unser Bekenntnis zu den Beschlüssen des 12. Kongresses und unseren Willen zu ihrer Umsetzung. Gleichzeitig fordern wir – im Einklang mit diesen Beschlüssen – dass die für den Friedensprozess notwendigen rechtlichen und politischen Schritte nicht länger hinausgezögert werden.
Dazu zählt die Entwicklung eines spezifischen Übergangsrechts für die PKK sowie die Schaffung gesetzlicher Grundlagen, die eine freie und gleichberechtigte Teilnahme am demokratischen Leben ermöglichen.
Wir rufen zur gesamtgesellschaftlichen Mobilisierung auf
Unser abschließender Appell richtet sich an unsere gesamte Bevölkerung – insbesondere an Frauen und Jugendliche: Dies ist keine Phase, in der man auf Entscheidungen anderer wartet, sondern eine Phase, in der ein freies und demokratisches Leben durch organisierte gesellschaftliche Anstrengung errungen werden muss.
Alle, die sich mit diesem Ziel identifizieren, müssen sich auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Mobilisierung engagieren – für den Erfolg des Prozesses für Frieden und eine demokratische Gesellschaft.
Das Manifest für Frieden und ein demokratisches Zusammenleben wird siegen.“