04. Mai 2025
An die Hoffnungslosen / An die Hoffnungsvollen
Theorie & Analyze
➣ Soziale Kämpfe
Lasst uns wieder hungrig sein, die Schönheit des Lebens mit beiden Händen zu greifen! Lasst uns mutig sein den Schmerz, der damit kommt, auzuhalten!
Wir wollen mit diesem Text gegen das Aufgeben anschreiben und für die Hoffnung plädieren. Denn obwohl sie oft zynisch belächelt wird, ist sie unser stärkste Waffe im Kampf gegen das kapitalistisch-patriarchale System.Wir wollen uns nicht ins bequeme Bett der Angst legen. Wir weigern uns der neoliberalen Lüge von der Sinnlosigkeit eines Kampfes für eine gerechtere Welt auf den Leim zu gehen. Isolieren, teilen und herrschen sind die Logiken dieser Welt, der wir uns nicht ergeben wollen.
“Die Hoffnung erträgt kein Hundeleben”
Anders als oft behauptet ist Hoffnung nicht Gefühl, das Mensch hat oder eben nicht. Sie ist keine zufällige Erscheinung, aber eine Entscheidung und stetige Arbeit. Sie ist das Gegenteil der Verwirrung und Angst. Sie ist die Gewissheit, dass wir das, was kommt, beinflussen und damit umgehen können. Auch wenn wir sie schon fast nicht mehr in unseren wildesten Tagträumen finden – Sie ist kein Luftschloss. Sie ist eine Erkenntnis der Gegenwart und ein darauf fußender Antrieb, auf das Zukünftige aktiv hinzuarbeiten. Als unrealistisch und träumerisch abgetan, ist sie – ganz im Gegenteil – eine auf Vernunft basierende Einordnung des Ist-Zustands:
Wir lernen unseren Blick auf die Gegenwart zu richten. Hoffnung weitet unsere Gedanken und Körper, denn sie ist “verliebt in das Gelingen und nicht in das Scheitern”. Sie findet in der Geschichte jeden noch so kleinen alltäglichen Akt des Widerstandes gegen das kapitalistische- patriarchiale System. Sie gibt dem Guten seine angemessene Bedeutung. So wird die Hoffnung stärker als die Angst vor dem Schmerz. Die Hoffnung kann ein Ventil der Sehnsucht auf das noch nie Dagewesene sein. Sie ist stärker als der Schmerz die würdelosen Verhältnisse in ihrer ganzen Grausamkeit und Eintönigkeit zu spüren. Im Gegensatz zum Optimismus, der ruhig auf seinem Platz auf bessere Zeiten wartet, nimmt die Hoffnung aktiv Einfluss auf den Lauf der Dinge.
“Ich vermochte nur wenig, aber die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich “
Wie Hoffnung das Gegenteil von Furcht ist, so ist Hoffnungslosigkeit der Gefühlsausdruck von diffuser Angst. Sie lässt uns dahin schwimmen,ohne festen Boden unter den Füßen und macht uns stumpf füreinander. Hoffnungslosigkeit lässt uns nur noch passiv abwarten, was mit uns in Zukunft passieren wird. Diese Angst ist der Versuch Kontrolle in eine Situation zu geben, in der wir offensichtlich keine Kontrolle haben. Und ja, in Zeiten von KI gesteuerten Drohnen, die tausende Menschenleben auslöschen und Repression, die undurchsichtig scheint, haben wir keine Kontrolle über diese Geschehnisse. Da scheint in diesen Tage die Hoffnungslosigkeit doch so menschlich und erstrebenswert.
In einer Gesellschaft in der emotionaler Schmerz nicht als normaler Teil das Lebens gilt, sondern als um jeden Preis zu vermeiden – da gibt die Hoffnungslosigkeit uns zumindest das falsche Versprechen uns vor Enttäuschungen zu beschützen. Sie tut dies, indem sie uns eine Realität vorgaukelt, in der wir scheinbar nichts zu verlieren haben. Alles scheint schon verloren. Sie nimmt unser Herz vom Tisch und flüstert in unser Ohr: “Lass es lieber, denn es tut eh nur weh. Es bringt alles eh nichts”. Sie präsentiert uns Ignoranz, Abgestumpftheit, Zynismus und Konsum als Medizin gegen unsere Leidenschaft für ein besseres Morgen.
Doch ohne zu lernen kollektiv mit dem an Überwältigung grenzenden Schmerz der Ungerechtigkeit dieser Welt umzugehen und ihn zu akzeptieren, bleibt uns auch die aktivierende Kraft der Hoffnung verwehrt. Es geht nicht darum so zu tun, als würde der Schmerz weniger wehtun oder nicht existieren, sondern darum ihn als Teil unseres Lebens zu akzeptieren und uns gegenseitig in unserer Traurigkeit zu unterstützen. Wenn wir lernen es zuzulassen, schaffen wir damit gleichzeitig Raum, die parallel zu ihr existierende Schönheit des Lebens wieder wahrzunehmen.
In einer individualisierten und nach Konsum ausgelegten Gesellschaft wird die eigene schnelle Bedürfnisbefriedigung der stärkste Wert an dem Wohlbefinden gemessen wird. So wird auch der individuelle Wunsch eine große, positive Veränderung der Gesellschaft schnell (!) und selbst zu erleben wichtiger, als sich als kleiner Teil einer Jahrtausende alten Geschichte des Widerstandes zu begreifen. Wir verharren in der Reaktion. Wir suchen Held:innen, Anführer:innen und Projektionen für gegenwärtige und kommende Aufstände und vergessen den Fluss der Zeit und unsere eigenen kleinen, aber wichtigen Rollen in Alledem.
Diese Haltung bringt Enttäuschung und egozentrische, gekränkte Resignation hervor. Wenn wir lernen uns selbst in einen lang ausdauernden Kampf der Bewegung einzuordnen, können wir zufrieden anerkennen, dass wir die Saat unserer Arbeit im Konkreten selbst nie ernten werden. Wir können ruhig zulassen, dass wir niemals im Konkreten erfahren können welchen Einfluss unser Tun auf die Geschichte nehmen wird. Denn wichtig ist, dass wir so wie viele vor uns und viele nach uns am Stuhl der Herrschaft beharrlich sägen und weiter Strukturen und Kultur jenseits des Staates aufbauen.
Was die Geschichte uns lehrt ist, dass revolutionäre Veränderung ein fortlaufender Prozess mit Höhen und Tiefen und kein statisch zu erreichender Zustand eines Paradieses ist.
Von der grundlegenden Schlechtheit der Menschen auszugehen, entspringt darwinistischen und neoliberalen Denkschulen, die in unserer Gesellschaft dominant sind. Sie gelten weithin als logisch, obwohl sie extrem zerstörerisch für das soziale Geflecht zwischen den Menschen sind. Sie schaffen in unserem Kopf das Denken von Gut und Böse – tödliche Binaritäten, die uns abtrainieren Komplexitäten und Zusammenhänge zu verstehen. Wir vergessen mit und für wen wir kämpfen. Mit dieser Art zu Denken spielen wir dieser erfolgreichsten Waffe gegen befreite Gesellschaftsvorschläge in die Hände.
Die Kultur der Hoffnungslosigkeit, die aus diesem Denken entsteht verlangt nach einer starken Autorität, einem starken Staat, um Menschen voreinander zu beschützen. Sie werden so zum Treibstoff der kommenden Faschismen. Und überall biedern sich Menschen aufgrund ihrer resignierten Haltung und dem Drang nach Handlungsfähigkeit diesen autoritären Vorschlägen an – wir haben dies gesehen zu Zeiten von Corona, in den Diskussionen für imperialistische Militäreinsätze und Waffenlieferungen und in medialen Hetzen gegen Befreiungsbewegungen. Es wird nicht mehr wertschätzend über taktische Entscheidungen diskutiert, sondern individualisert moralisch argumentiert um durch ständige Abwertung anderen Kämpfen in einer scheinbaren Überlegenheit zu verharren.
Eine sich gegenseitig hoffnungslos redende, zynische Linke spielt dem Feind in die Hände, indem sie damit seiner Repression zuvorkommt und seine Phrasen von der Nutzlosigkeit der Kämpfe für ein besseres Leben für Alle in unseren Köpfen weiter verankert. Eine politisch linke Haltung geht von einem positiven Menschenbild aus und trägt die hoffnungsvolle Überzeugung, dass Alles für Alle reichen wird. Sie begegnet Menschen als Freund*innen und potentielle Mitstreiter*innen und weiß um das riesige Potential unserer Fürsorge zueinander.
Hoffnungslosigkeit scheint eine individuelle Entscheidung oder Niederlage zu sein, aber ihr politische Dimension ist dramatisch:
Da Hoffnung verbunden ist mit unserer Vorstellungskraft, gilt sie in der patriarchalen und kolonialen Wissenschaft als unvernünftig und wird belächelt. Eine Wissenschaft, die alles messbar machen will und Fakten schafft, die der herrschenden Klasse dienen. Eine vermeintliche rationale Neutralität im Sinne der Wissenschaft soll normieren und so vergleichbar machen, was nicht vergleichbar ist. Diese Art Rationalität zu denken, ist tief in die neoliberale Gesellschaft eingesickert und lässt eine aus Hoffnungslosigkeit erwachsende, faschistische Kultur als den logischen Werdegang der Menschheit erscheinen. Diese tief sitzende Hoffnungslosigkeit, die sich im Aufgeben der eigenen Zukunft zeigt, treibt Millionen von Menschen in eine zerstörerische Gewalt und damit Millionen von Menschen in ihre Gräber. Sie treibt uns weg von einer lebensbejahenden, freudigen Position, die so notwendig ist, um Menschen zu motivieren zu kämpfen.
Wenn Mensch Hoffnung hat, gibt es viel zu tun
Die Arbeit der Hoffnung ist gleichzeitig eine eigene und gemeinsame Verantwortung, durch die wir all unser Potential gegenseitig aus uns herauskitzeln können. Sie ist eine wunderbare Kraft die uns an unserer Liebe zueinander und somit an unsere Ideen von einer befreiten Gesellschaft festhalten lässt. Sie lässt uns konkrete Bilder ausmalen, von dem was wirklich möglich ist und lässt uns voller Lust auf diese weit entferneten Ziele hinarbeiten. Sie gibt dem was wir tuen und uns selbst Bedeutung. Sie gibt uns Geduld und Bescheidenheit – zentrale Werte in den Kämpfen, die wir führen.
Lasst uns wieder hungrig sein, die Schönheit des Lebens mit beiden Händen zu greifen! Lasst uns mutig sein den Schmerz, der damit kommt, auzuhalten!
Küsschen von KAF Berlin
Liebesbriefe, Diskussion und Kritik gerne an
Kaf-berlin (at) systemli.org
Inspirationen für die Arbeit der Hoffnung
- Tagträume analysieren auf Elemente der besseren Zukunft. Worauf ist die eigene Hoffnung gerichtet?
- Prüfen ob die eigene Hoffnung Wunschdenken ist. Wo hat sie ihre Entsprechung in der jetzigen Welt?
- Einfluss nehmen auf das Geschehen der Geschichte. Was bedeutet militanter Optimismus?
- Erhoffen einer konkreten Utopie. Wie sieht eine befreite Gesellschaft aus?
- Uns und dem, was wir tuen, Bedeutung geben. Wie geben wir uns gegenseitige Anerkennung?
- Verbundenheit mit einer widerständigen Geschichte aufbauen. Auf welche Kämpfe der Vergangenheit können wir uns beziehen?
- Verantwortung für unsere gegenseitige Hoffnung tragen. Wie können wir uns Hoffnung erschaffen?
Quellen
- Angela Davis ” Hope is a discipline” and 2025″ Infinite Hope” speach at the peaceball
- Mariame Kaba- Hope is a discipline(beyond prison podcast)
- Ernst Bloch ” das Prinzip Hoffnung”
- Claudia Blöser” 7 Thesen aus Prinzip Hoffnung”
- Übertage Podcast ” wie wir uns Hoffnung machen”
- RevolutionaryLeftRadio Podcast with Jon Greenaway ” Capitalism: A Horror Story”
- Abdullah Öcalan ” Jenseits von Staat,Macht und Gewalt”
- Kurdische Frauenbewegung
- Berthold Brecht ” An die Nachgeborenen”
- Zapatistische Bewegung
- Unsere eigenen Erfahrungen