Texte zum Autoritären Sozialismus



Vor kurzem hat die Basisgruppe Antifa einen Text mit “Thesen über die autoritäre Linke” vorgelegt. Der Text behandelt das Phänomen autoritär kommunistischer Gruppen in der breiteren Linken:

http://basisgruppe-antifa.org/wp/2024/07/05/thesen-ueber-die-autoritaere-linke/

Nun gibt es eine Antwort auf den Text unter dem Titel: “Autoritären Sozialismus konfrontieren” der diesen aus einer anarchistischen Perspektive solidarisch diskutiert:

https://barrikade.info/article/6512

Im folgenden reposten wir beide Artikel:

Thesen über die autoritäre Linke

“Die Straße frei der roten Jugend”, in Reih und Glied getragene Hammer und Sichel-Fahnen – dass sich innerhalb der radikalen Linken in Deutschland etwas politisch verändert hat, haben in den letzten Jahren viele gesehen, die an linken Demos und Aktionen teilgenommen haben. Gruppen mit einem positiven Bezug auf Lenin, Stalin, Mao und Trotzki – um nur einige Beispiele zu nennen – die über Jahrzehnte in der deutschen Linken nur eine randständige Rolle gespielt haben, scheinen plötzlich “wie aus dem Nichts” nicht nur aufgetaucht zu sein. Sie nehmen auch zunehmend inhaltlich, praktisch und kulturell einen immer größeren Raum in der radikalen Linken ein. Mit der medienwirksam geschickt inszenierten “Besetzung” der Roten Flora in Hamburg am 14. Mai diesen Jahres durch einige von ihnen, verbunden mit der Ansage, das bald sie “hier den Ton angeben würden”, ist vielen bewusst geworden, es ist dringend an der Zeit sich mit ihnen inhaltlich ernsthaft auseinanderzusetzen.

Auch wir haben damit angefangen. Dabei haben wir festgestellt, es fehlt uns schon an grundlegenden Begriffen zur Bestimmung dieses Phänomens. Die brauchen wir aber, so glauben wir, um uns diese Entwicklung nicht nur erklären zu können, sondern auch um sie vernünftig inhaltlich kritisieren und perspektivisch in ihren Einfluss beschränken zu können.

Einblick in den vorläufigen Zwischenstand unserer Diskussion über diese von uns als “autoritäre Linke” bezeichnete Strömung in der radikalen Linken bietet folgendes Thesenpapier. Wir freuen uns sehr über Anmerkungen, Kritiken, Widerlegungen und natürlich auch Zuspruch. Gerne könnt ihr uns dieses unter kontakt@basisgruppe-antifa.org zukommen lassen.

These 1: Zum Begriff

Wir sprechen von „autoritären Linken“ und nicht von „Roten“, „MLern“, „K-Gruppen“ oder „Leninisten“ nicht nur, weil es der historisch ältere Begriff ist, sondern weil es nicht nur ein beschreibender, sondern ein inhaltlicher bestimmender Begriff ist.

These 2: Zur Kategorie

Die Kategorien „autoritär“ und „antiautoritär“ sind Kategorien der Gesellschaftsveränderung und damit auch der Gesellschaftsanalyse. Gesellschaft ist mehr als die Gesamtheit aller Individuen und ihrer Verhältnisse zueinander. Jedes Individuum ist Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse. Damit ist es Ausdruck eines widersprüchlichen, dialektischen, Verhältnisses, dessen Widersprüchlichkeit sowohl Voraussetzung als auch Praxis der gesellschaftlichen Totalität ist. Erscheinungsform der gesellschaftlichen Totalität ist das ihr scheinbar entgegengesetzte Individuum. Beide Kategorien, autoritär und antiautoritär, folgen aus der Gesellschaft und sind durch die gesellschaftlichen Entwicklungen und ihre historischen Prozesse geformt.

These 3: Zur Vertracktheit der Gesellschaftsanalyse

Das Ziel der Gesellschaftsanalyse ist es, sie zu begreifen und zu beschreiben. Die dialektische Totalität der Gesellschaft stellt damit für die Analyse eine besondere Herausforderung dar. Sie muss Gesellschaft als Ganzes beschreiben, darf sie nicht einseitig in Richtung Zusammenhang oder Individuum auflösen, muss in der Beschreibung und im Begreifen von beidem, beides entsprechend vorkommen lassen. Vertrackt!

These 4: Zur noch vertrackteren Gesellschaftskritik

Entsprechend steht es um die Gesellschaftskritik und Veränderung. Für sie gelten nicht nur die Anforderungen der Gesellschaftsanalyse. Sie ist, in ihrem Verändern, in ihrer anti-gesellschaftlichen Tätigkeit gleichzeitig auch immer eine gesellschaftliche Tätigkeit. Streng genommen wäre damit die einzig mögliche Form der Abschaffung dieser Gesellschaft ein gleichzeitiger, gesamtgesellschaftlicher Suizid – schließlich sind auch die, die versuchen die Gesellschaft abzuschaffen, ein Teil von ihr. Genauer wäre es deswegen von der Aufhebung der Gesellschaft durch Gesellschaftskritik und Veränderung zu sprechen. Noch vertrackter!

These 5: Autoritär und Antiautoritär

In dem Versuch, Gesellschaft zu begreifen, zu verändern und aufzuheben, beschreiben die Begriffe „autoritär“ und „antiautoritär“ zwei logische und damit abstrakte Pole. „Autoritär“ meint dabei die einseitige Auflösung der gesellschaftlichen Totalität in Richtung des Zusammenhangs. Beispiele dafür sind die Umwidmung feministischer Alltagspraxis zu einem Mittel für die Revolution, die Reduktion des Staates auf seine Funktion als Gewaltapparat (und damit die Nutzbarmachung für den eigenen Gebrauch zu anderen Zwecken) oder die Unterordnung der Formen der politischen Praxis und Organisierung unter ihren Zweck, der Ausblendung oder Reduktion der Bedeutung der Formen der Gesellschaftsveränderung unter ihr Ziel. Umgekehrt meint „antiautoritär“ damit die einseitige Auflösung der gesellschaftlichen Totalität in Richtung des Individuums. Beispiele hierfür sind eine Praxis der Gesellschaftsveränderung, die sie vor allem in der Veränderung zwischenmenschlicher Verhältnisse sieht, verbindliche und kollektive Formen der Organisierung und (Selbst)Disziplin grundsätzlich ablehnt oder erkenntnistheoretisch Gesellschaftsanalyse soweit in Richtung des Individuums, des Subjektiven, aufgelöst hat, dass keine Objektivität, keine Wahrheit mehr emanzipatorisch denkbar ist. Eigentlich stehen wir, versuchen wir, damit „in der Mitte“ zwischen diesen beiden Polen zu stehen. Wir sind eigentlich keine antiautoritären Linken.

These 6: Gegen identitäre Vereindeutigung

Die (Selbst)Beschreibung als „antiautoritäre Linke“ ist eine politische, eine historisch gewordene. Die politisch erfolgreiche Oktoberrevolution der Bolshewiki in Russland ist die bisher bedeutsamste und einschneidendste Wegmarke in der Weltgeschichte der Linken. Sie beendete und löste die bisher die weltweite Linke bestimmenden Diskussionen und Debatten über Inhalte, Praxis, (Organisierungs)Form von Reform und Revolution einseitig auf zu Gunsten der von den russischen Bolshewiki angewandten. Grund dafür war (und ist heute weiterhin) ihr Erfolg, der so, nur dort gelang. Das „Erfolgsargument“ schlug (und schlägt weiterhin) jedes andere Gegenargument. Der sie inhaltlich und politisch prägende Politiker der Bolshewiki war Lenin. In der, sowohl innerrussischen als auch weltweiten, linken Diskussion wendete er bzw. die Vertreter*innen seiner politischen Strömung, die Beschreibung des „Antiautoritarismus“ auf seine außer und innerparteilichen Gegner*innen an. Dies teils berechtigt, teils als Teil von Rhetorik und Polemik. Die Selbstbeschreibung als „antiautoritäre Linke“ ist deswegen auch immer noch der Nachschein der weltweiten (Selbst)Veränderung der Linken nach der Oktoberrevolution und der bis heute reichenden Stärke des „Erfolgsarguments“ bzw. der Schwäche der „antiautoritären Linken“, einen eigenen „Erfolg“ vorweisen zu können. Sie verbleibt bis heute im “anti“. Historisch und politisch richtig müssten wir uns deshalb eigentlich als „anti-leninistische“ Linke beschreiben. Das zeigt: Eine identitäre Vereindeutigung funktioniert inhaltlich hier nicht. Es bleibt eine politische Abgrenzung, die sich in unserer Praxis erst noch beweisen muss.

These 7: Lenin

Anstelle von der „autoritären Linken“ zu sprechen, wäre es historisch und politisch genauer, von der „leninistischen Linken“ zu sprechen. Gleichzeitig ist aber auch dieser Begriff nicht vor Tücken gefeit. Richtig wäre er, weil es kaum eine Strömung der autoritären Linken gibt, die sich nicht auf ihn bzw. seine Inhalte verschieden Interpretierenden oder verschieden weiter Entwickelnden (Trotzki, Stalin, Mao, Hoxha, Kaypakkaya, Gonzalo, what ever) beziehen. Dabei ist auch dieser Bezug gleich mehrfach vertrackt. Obwohl von seinen Fans behauptet, gibt es einen „Leninismus“ als eine geschlossene und einheitliche Weltanschauung genauso wenig wie einen „Marxismus“. Der Bezug auf Lenin ist deswegen auch immer ein doppelter: Auf seine Inhalte als auch auf seinen „Erfolg“ und damit auf die höhere Legitimation, die auch über hundert Jahre nach der Oktoberrevolution noch aus ihr versucht wird zu ziehen. Ohne diese und die sie kennzeichnenden Formen, Inhalte und Folgen, ist kein positiver Bezug auf Lenin zu haben. In diesem Sinne, in all seiner inhaltlichen teils Widersprüchlichkeit, gibt es damit dann doch einen Leninismus: Als Verlaufsform seines politischen Lebens.

These 8: Gemeinsamkeiten

Nicht inhaltlich-logisch, sondern historisch-politisch begründet, gibt es zwei Kernelemente, die, allerdings in starker Variation, alle auszeichnen, die sich positiv auf Lenin oder die ihn verschieden Interpretierenden beziehen. Sie finden sich deshalb, in unterschiedlichen Formen, bei allen Gruppen und Theoretiker*innen, die wir aktuell als „autoritäre Linke“ bezeichnen.

These 8a: Der Voluntarismus

Voluntarismus meint im Spannungsfeld subjektiver Möglichkeiten und Handlungen auf der einen und objektiven Bedingungen und Möglichkeiten auf der anderen, die Überbetonung des Subjektiven. Folge dessen ist zum Beispiel die besondere Bedeutung der Organisation, „der Partei“, für alle Leninist*innen. Ihr Aufbau als bedeutsamste Voraussetzung für die Revolution nimmt deswegen bei manchen einen fast religiösen Charakter an. Zum objektiv fortschrittlichsten Teil der Klasse (oder Masse oder Volk) erklärt, tritt sie bei manchen Leninist*innen (unbewusst) an die Stelle der Klasse. Im Gegensatz zur Partei könne die Klasse im Alltag über ein „trade- unionistisches“ Bewusstsein nicht hinauskommen, die Kommunist*innen sind damit keine Fraktion der Klasse, kein Teil ihrer Selbstbewegung mehr, sondern eine Organisation „von außen“. Der Form „der Partei“, der Organisation, kommt deswegen auch eine besondere Bedeutung zu, ihr „monolithischer Charakter“ ist Voraussetzung der Revolution (Wobei auch hier eine Spannbreite zu beachten ist: So gehen Trotzkist*innen aus „ihrer“ historischen Erfahrung von einem Recht auf Fraktionsbildung in der Kaderpartei aus (die Grundlage der vielen trotzkistischen Spaltungen), für Ultra-Maoist*innen wie die Gonzalofans hat die „Partei“ mehr den Charakter einer militärischen Geheimorganisation.).

These 8b) Ein Weltbegriff von Kapitalismus, Partei und Revolution

In die Lebenszeit Lenins fällt die Entstehung des Weltmarkts, des Kolonialismus und die weltweite Durchsetzung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus als gesellschaftliche Deutungsfolien. In der weltweiten linken Debatte über den Imperialismus stach Lenin mit seiner Imperialismustheorie hervor, weil für sie der Imperialismus die Zuspitzung der angenommenen Tendenz des Kapitalismus zur Monopolbildung auf Weltebene ist. Der Imperialismus ist für Lenin weltweiter Monopolkapitalismus, damit ist auch jede politische Bewegung die sich gegen die „Monopole“ und „ihre“ Staaten richtet, antiimperialistisch. Die Folgen dieser Theorie sind weitreichend. Aus ihr folgt zum Beispiel ein positiver Bezug auf „nationale Befreiungsbewegungen“. In dem der Imperialismus weltweiter Monopolkapitalismus ist, lässt sich daraus auch die Erwartung einer baldigen Revolution ziehen: Mit der Entwicklung der Monopole ist keine weitere Weiterentwicklung des Kapitalismus möglich, der Imperialismus ist die „höchste Form“ des Kapitalismus, immer weiter eskalierende Kriege und soziale Konflikte sind die Folge. Aus dem Verständnis des imperialistischen Kapitalismus als Weltzusammenhang folgt auch ein anderes Verständnis von Politik: Jeder Ort der Welt ist abstrakt gleichermaßen ein möglicher Ort der beginnenden Weltrevolution, „die Partei“ muss deswegen auch immer eine Internationale sein. Lenins Imperialismustheorie wird damit sowohl zur Stärke als zur Schwäche ihrer Fans. Auf der einen Seite passt sie scheinbar stimmig zu den Erscheinungsformen imperialistischer Konkurrenz, kann Kriege und Krisen erklären, macht die Kommunist*innen kompatibel zu nationalistischen und antikolonialen Bewegungen und zu Regionen der Welt, die von bäuerlichen Produktionsweisen der Subsistenz gekennzeichnet sind. Auf der anderen Seite ist das auch ihre Schwäche und Ort ihrer großen historischen Niederlage: Auf den Erfolg im bäuerlichen Russland sollte, musste, die Weltrevolution folgen. Diese trat aber nicht ein. Alle folgenden Spaltungen in Trotzkismus, Stalinismus, Maoismus und Co., sind Folgen dessen, Versuche sie sich zu erklären und einen Umgang damit zu finden. Die autoritäre Linke, die ihre Wette auf die Weltrevolution nicht einlösen und seitdem in unzählige, teils mörderisch verfeindete, Strömungen gespalten ist, aber auch für die antiautoritäre Linke. Zerrieben zwischen antirevolutionärer und antikommunistischer Sozialdemokratie auf der einen Seite und der leninistischen Linken auf der anderen, ist es ihr seitdem historisch nur noch an wenigen Punkten der Geschichte gelungen, solch eine gesellschaftliche Größe und Wirkungsmächtigkeit zu entfalten, dass es ihr gelungen wäre, ihre Theorie und Analyse auf das historisch notwendige Niveau zu heben. Das heutige, immer noch, Zehren an den Debatten und Theoretiker*innen der kritischen Theorie und von 68ff., ist Ausdruck dessen. Der aktuell den Menschen subjektiv als eine Vielzahl von Krisen und Kriegen gegenübertretende eskalierende kapitalistische Konkurrenz gelingt es der antiautoritären Linken deshalb auch nur mit theoretischen Oberflächlichkeiten oder Sprachlosigkeit entgegenzutreten. Die autoritäre, leninistische Linke dagegen präsentiert eine Vielzahl von, oft zum unhinterfragbaren Dogma gepanzerten, „Wahrheiten“, die, im Verhältnis zur antiautoritären Linken, mit dem Verweis auf den historischen Erfolg, überzeugender daherkommen. Dazu sind ihre, dem Voluntarismus immanenten, Formen wie Disziplin und Opferbereitschaft kompatibel mit den eingeübten Formen des Marktsubjekts, dem autoritären Charakter. In der eskalierenden Konkurrenzgesellschaft wird die autoritäre Linke so zunehmend, inhaltlich und historisch begründet, in der Tendenz zur erfolgreicheren Strömung in der Linken.

These 9: Autoritäre Lösungsangebote

Kriege, Inflation, Corona, Klima: die Welt, die Gesellschaft scheint zunehmend unüberschaubarer, krisenhafter, noch bedrohlicher zu werden als sie es sowieso schon immer war. Und in der Krise haben autoritäre Lösungsangebote Hochkonjunktur. In der eskalierenden Konkurrenzgesellschaft bieten sie sich dem autoritären Charakter als naheliegendes Mittel zur Bewältigung der eigenen sozialen Abstiegsängste und Bedrohungen an. Die sozialdarwinistischen „Querdenker“, die Wahlerfolge der AfD oder die Gründung des „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) sind Beispiele dafür. Sie alle sind verschiedene Ausdrücke des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks. Vor dem ist natürlich auch die radikale Linke nicht gefeit. Was das BSW für die linke Sozialdemokratie ist, das sind all die Parteiaufbau, „roten“ oder sonst wie neo-K-Gruppen, die autoritäre Linke für sie; ob sie sich jetzt auf Lenin, Stalin, Trotzki, Mao oder sonst wen beziehen. Auch wenn sie damit Ausdruck des Rechtsrucks als objektive, gesamtgesellschaftliche Bewegung sind, autoritäre Linke werden damit aber selbstverständlich nicht zu Rechten, sie sind Linke.

These 10: Ein deutscher Sonderweg

Für viele antiautoritäre Linke in der BRD passiert das (Wider)Erstarken der autoritären Linken scheinbar plötzlich und unerwartet. Tatsächlich aber waren sie nie weg. Linke die sich auf Lenin, Trotzki, Stalin und Co. beziehen, waren in der Wahrnehmung vieler Linksradikaler über Jahrzehnte wahlweise ältere Angehörige von Sekten, die wie aus der Zeit gefallen wirkten oder von marktschreierische Franchise-Unternehmen, denen es vor allem um den Verkauf von Zeitungen und den Gewinn von Mitgliedern ging. In den außerparlamentarischen Bewegungen und sozialen Kämpfen in Deutschland der letzten Jahrzehnte kamen sie so gut wie nie vor, man begegnete sich nicht. Die tendenzielle Organisationsfeindlichkeit der antiautoritären Linken, ein hoher personeller Durchlauf sowie der Bezug auf die eigene Subkultur haben vielleicht begünstigt nicht wahrzunehmen, dass dieses besondere innerlinke Kräfteverhältnis in der BRD (und vielleicht noch in anderen Staaten Mittel und Südeuropas), global betrachtet immer eine Ausnahme war. Sie gründete vor allem in der Besonderheit des Zusammenbruchs der DDR und der damit einhergehenden inhaltlichen Delegitimation aller sich auf Lenin und Co. beziehenden politischen Ansätze. Verstärkend wirkte noch die finanziell-organisatorische Abhängigkeit vieler linker Organisationen von der DDR, angefangen bei der DKP und ihren bis 1989 nach Eigenauskunft bis zu 40.000 Mitgliedern. Auf die politisch-soziale Krise in Ostdeutschland 1990ff konnte die autoritäre Linke deswegen keine Antwort geben, dies blieb vor allem den Rechten vorbehalten. Ebenfalls eine autoritäre, wenn auch eine sozialdemokratisch-sozialreformerische Antwort (mit staatsintegrativer Folge) waren die Wahlerfolge der PDS. Teile dessen was sich heute programmatisch und organisatorisch getrennt als BSW – wenn auch auf weitgehend anderer personeller Grundlage – erste Wahlerfolge feiert, findet sich bereits dort als Teil der frühen PDS. Der Wahrheitsgehalt der Wahrnehmung, die Fans von Lenin und Co. seien überwundene Relikte der Vergangenheit, war damit, wenn auch geografisch begrenzt, für viele Jahrzehnte bis Ende der 2010er in der BRD hoch. Er wurde zudem durch einen selektiven Blick in die europäischen Nachbarländer begünstigt, in denen ML-Parteien ebenfalls schwere legitimatorische Krisen durchmachten. Allerdings blendete er das gesamtgesellschaftliche als auch innerlinke Kräfteverhältnis dort meist aus. So erreichte Beispielsweise die Moskau-orientierte Kommunistische Partei Italiens Mitte der 80er Jahre noch bis zu 33 % bei Wahlen, in Frankreich war in der 80er Jahren die Kommunistische Partei sogar an der Regierung beteiligt. In vielen europäischen Ländern sah das ähnlich aus. Die autoritäre Linke wurde auch dort massiv geschwächt, befand sich aber immer noch auf einem im Verhältnis zur BRD, schwindelerregend hohen Niveau. Global betrachtet sieht das ähnlich aus, die Kommunistische Partei Japans zählt aktuell circa 300.000 Mitglieder, ohne die Kommunistische Partei des Sudan und ihren gewaltigen gesellschaftlichen Einfluss wäre es 2019 vermutlich nicht gelungen die dortige Militärdiktatur zu stürzen, um nur zwei Beispiele zu nennen. In diesem Sinne lässt sich deshalb eher gerade von einer Angleichung der innerlinken Kräfteverhältnisse in der BRD im Zuge des Rechtsrucks an die weltweiten Verhältnisse sprechen. Nicht Abwehr oder Ignoranz, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit des eigenen Nachholbedarfs in der Analyse und Kritik der autoritären Linken sind richtige Antworten hierauf. Bei Genoss*innen in anderen Ländern lassen sich vielleicht dafür nützliche Hilfestellungen finden.

These 11: Emanzipation statt Autoritarismus

Allen autoritären Linken ist gemein, begründet in der Leninschen Theorie, die methodische Unterordnung der Mittel unter den Zweck. Das dialektische Verhältnis von Reform und Revolution lösen sie autoritär auf. Dabei variiert die konkrete Form: Im stalinistischen Konzept von Minimal und Maximalforderungen wird das Verhältnis bürokratisch-organisatorisch durch die Partei aufgehoben, für das trozkistische Konzept der Übergangsforderungen sind Kämpfe um Verbesserungen eine Art „manipulative Pädagogik“, in der die Kämpfenden mit der Erhebung von Forderungen die in dieser Gesellschaft nicht realisierbar sind, lernen sollen, dass für ihre Durchsetzung die revolutionäre Partei notwendig ist. (Post)Maoist*innen spitzen all das noch einmal zu, Reform & Revolution werden bei ihnen zu reinen Gewaltfragen, Revolutionstheorie ist bei ihnen Militärtheorie. Zu den in der eskalierenden Konkurrenz sich subjektiv zuspitzenden Krisen und zunehmenden sozialen und ideologischen Kämpfen und Auseinandersetzungen können die autoritären Linken deswegen immer nur ein instrumentelles Verhältnis haben, ihr politisches Handeln ist immer vor allem auf die Stärkung der eigenen Organisation, den Aufbau „der“ Partei gerichtet. Ohne revolutionäre Situation droht ihnen das sich Verlieren in Tageskämpfen, die Selbstsozialdemokratisierung, oder die Verkümmerung zur Sekte, ewig das abstrakte Heilsversprechen von Partei und Revolution wiederholend. Als antiautoritäre Linke haben wir dagegen etwas materiell Nützliches zu den Kämpfen beizutragen. An die Stelle von Massenorganisationen, Schulungen und Parteiaufbau setzen wir Ideologiekritik und Selbstorganisation, Selbst- und Gesellschaftsveränderung als ein sich bedingendes, praktisches Verhältnis. Kämpfe um Verbesserungen statten wir so mit einer organisch aus sich heraus, perspektivisch über diese Gesellschaft hinausweisenden Perspektive aus. Reform und Revolution sind so kein Gegensatz, sondern werden zur gegenseitigen Bedingung, die ohne eine die sie führenden Partei auskommt, Befreiung zur Selbstbefreiung und damit überhaupt erst emanzipatorisch. Was im Kampf gegen die autoritäre Rechte gilt, dass wir den Rechten nicht nur argumentativ, sondern auch praktisch, in Form von kollektiv solidarisch geführten sozialen Kämpfen um Verbesserungen in und gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse entgegentreten müssen, das gilt damit auch als Mittel gegen die autoritäre Linke. Wem es gelingt die eigene Positionierung und Verstrickung in diese gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur zu durchschauen, sondern auch praktisch, mit anderen zusammen entgegenzutreten, die*der hat auch keinen Bedarf an autoritären Krisenlösungen – rechten wie linken!

Autoritären Sozialismus konfrontieren

Die Basisgruppe Antifa aus Bremen hat einen Text mit Thesen über die autoritäre Linke veröffentlicht. [http://basisgruppe-antifa.org/wp/2024/07/05/thesen-ueber-die-autoritaere-linke/] Dabei haben sie festgestellt, dass es „uns schon an grundlegenden Begriffen zur Bestimmung dieses Phänomens [fehlt]. Die brauchen wir aber, so glauben wir, um uns diese Entwicklung nicht nur erklären zu können, sondern auch um sie vernünftig inhaltlich kritisieren und perspektivisch in ihren Einfluss beschränken zu können“. Nicht nur emanzipatorische kommunistische Gruppen, sondern auch autonome und anarchistische Zusammenhänge müssen dahingehend meiner Ansicht nach ihre Kritik, Vorstellungen und Alternativen schärfen. Um den sogenannten K-Gruppen, BSW und anderen autoritären Erscheinungen begegnen zu können, gilt es, sich nicht vorrangig Identitäts-bezogen von diesen abzugrenzen, sondern zu verstehen, warum sie sich so ausbreiten können. Daher möchte ich einige Anmerkungen und Überlegungen, anknüpfend an die Thesen der Basisgruppe Antifa, anstellen, um mich an der Diskussion zu beteiligen. Mein Standpunkt ist dabei der eines synthetischen Anarchismus; meine Kritik solidarisch gemeint.

1) Autoritäre linke Strömungen sind auf dem Vormarsch

Der Begriff „autoritär-kommunistisch“ trifft auf die kritisierten Gruppen auf jeden Fall zu, da er in seiner inhaltlichen Bestimmung eine adäquate Beschreibung für die Organisationsform, das Wahrheitsverständnis und den Führungsanspruch der verschiedenen autoritären Polit-Sekten ist. BSW kann zutreffend als autoritär-sozialdemokratisch beschrieben werden.

2) Die Kategorie des Autoritarismus als verkürzte Entgegensetzung von Individuen und Gesellschaft

Die Kategorie „autoritär“ wird häufig in Bezug auf Staat angewandt, in dem Sinne, dass vor „autoritären“ Staaten gewarnt wird. Aus anarchistischer Sicht ist dies irreführend, denn der Autoritarismus gehört zum Wesen des politischen Herrschaftsverhältnisses wie der Zentralismus und das Prinzip der Hierarchie mit seiner Gehorsamspflicht. Im Kern begründen autoritäre Handlungen die Souveränität des Staates, insofern es gerade die Willkür und Gewalt ist, die Legitimität und Zwangsbefriedung einrichtet.
Die Gegenüberstellung von „Individuen“ und „Gesellschaft“ ist ein konstruierter Widerspruch, der zwar die bürgerliche Gesellschaftsform beschreibt, aber tatsächlich in ihren Kategorien verbleibt, statt diese zu verlassen. Dass Einzelne Produkte ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Umgebung sind und darin trotzdem subjektive Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten haben, ist eine Binsenweisheit. Selbstverständlich ergibt eine Kategorie wie Autoritarismus mit den entgegengesetzten Polen „autoritär/antiautoritär“ nur Sinn, wenn sie in einer spezifisch-historischen Gesellschaftsform verstanden wird – weswegen „antiautoritär“ im Jahr 1872 graduell etwas anderes bedeutete, als heute und in der BRD heute etwas anderes bedeutet, als in Russland oder China.

3) Eine involvierte Gesellschaftsanalyse ist gar nicht vertrackt

Gesellschaftsanalyse sollte nicht nur „gesellschaftliche Entwicklungen und ihre historischen Prozesse“ beschreiben, sondern auch Herrschaftsverhältnisse, ihre Auswirkungen und parallel vorhandene Alternativen zu ihr. Deswegen sollten wir vom staatlichen Kapitalismus, von weißer Vorherrschaft, Patriarchat und Naturbeherrschung sprechen. Dahingehend ist es nicht besonders „vertrackt“ wie die Basisgruppe Antifa meint, dass man die Diskussion über Autoritarismus nicht allein in Richtung Individuum oder Gesellschaft auflösen könne. Bei dieser Entgegensetzung handelt es sich leider um eine schematische Kopfgeburt, welche vermutlich sogar der Erfahrung vieler Menschen widerspricht.

4) Die kauzige Außenseiterrolle der Gesellschaftskritiker*innen

Gesellschaftskritik erscheint nur denjenigen als „antigesellschaftliche Tätigkeit“, welche das Privileg haben, sich fernab von alltäglichen gesellschaftlichen Prozessen sehen zu können und sich daher in ihrem Selbstverständnis für intellektuell „unabhängig“ halten. Offensichtlich ist, dass Gesellschaftskritik einer Distanzierung bedarf, welche bestimmte Voraussetzungen aufweist, die viele Menschen aufgrund ihrer Einbettung in den Produktionsprozess und/oder ihrer ideologisch-affektive Verhaftung in die Herrschaftsordnung nicht vornehmen können. Insofern kann die Schlussfolgerung „Streng genommen wäre damit die einzig mögliche Form der Abschaffung dieser Gesellschaft ein gleichzeitiger, gesamtgesellschaftlicher Suizid“ nur als idealistische Gedankenspielerei bewertet werden. Denn der Suizid kann nur als logische Konsequenz missverstanden, wenn man die graduelle Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Grunde genommen für unmöglich erachtet.
Auch die emanzipatorischen Kommunist*innen kranken dahingehend an ihrer Totalisierung der gesellschaftlichen Totalität. Stattdessen könnten sie wesentlich pragmatischer an die Sache heran gehen und einsehen, dass es auch im Rahmen der bestehenden Herrschaftsordnung stets marginalisierte Alternativen zu ihr gibt. Als „vertrackt“ kann man dies nur bezeichnen, wenn man – trotz behaupteten Wissens darum – sich selbst als Subjekt gerade nicht als als Teil der Gesamtgesellschaft begreift. Statt sich in vagen Abstraktionen über die hypothetische Aufhebung einer Gesellschaftsform als Ganzes zu verlieren, wäre es ein Gewinn, erst einmal von den Herrschaftsverhältnissen Kapitalismus, Staat, Patriarchat, weißer Vorherrschaft und Naturbeherrschung auszugehen, diese zu benennen und sich antagonistisch zu ihnen zu verorten.

5) Dialektische Taschenspielertricks

Der scholastischen Denkweise der Basisgruppe Antifa zufolge würden die Adjektive „autoritär“ und „antiautoritär“ zwei „logische und damit abstrakte Pole“ beschreiben. Dies ist aus anarchistischer Perspektive Humbug. Denn beides sind vorfindliche Weisen, zu denken, zu empfinden, Organisationen und soziale Beziehungen zu strukturieren. Es geht also um die Praktiken, welche bestimmte Menschen und Gruppen ausführen und nicht vorrangig um eine abstrakte Polarisierung, wie die Autor*innen glauben. In Verbindung mit ihrer schematischen Entgegensetzung von vereinzelten „Individuen“ und holistischer „Gesellschaft“ (die wie erwähnt von den meisten Angehörigen auch der bestehenden Gesellschaftsform in dieser Reinform keineswegs so empfunden wird), gelangen die emanzipatorischen Kommunist*innen damit zum Fehlschluss, unter autoritär, die Auflösung des Gegensatzes Richtung „Gesellschaft“ zu denken, während sie annehmen antiautoritär hieße, diesen konstruierten Widerspruch in Richtung „Individuen“ aufzulösen.
Mit diesem intellektuellen Taschenspielertrick, kommen sie zum Ergebnis, dass sie eigentlich keine „antiautoritären Linken“ seien. Dies ist richtig, aber aus anderen Gründen. Denn auch mit antiautoritären Positionen möchte man die Gesellschaftsform als Ganze verändern statt lediglich – wiederum abstrakt – Individuen zu befreien. Der Grad der Selbstbestimmungsmöglichkeiten aller Einzelnen bleibt – entgegen dem liberalen Individualismus – trotzdem ein wesentlicher Indikator für die Emanzipation der Gesellschaft insgesamt. Streng genommen muss man der Basisgruppe Antifa deswegen die Frage stellen, ob sie in ihrer Denkweise nicht genau die bürgerliche Ideologie reproduzieren, welche sie zu dekonstruieren glauben.

6) Zum historischen Gedächtnis der antiautoritären Bewegung

Das historische Gedächtnis der Basisgruppe Antifa ist ungenau. Die Bezeichnung „antiautoritär“ wurde von jenen Strömungen innerhalb der Ersten Internationalen Arbeiterassoziation in Abgrenzung zum „autoritären“ Kurs der mehrheitlich deutschen und englischen Sozialdemokrat*innen gewählt. Nach dem intriganten Ausschluss von Michael Bakunin und James Guillaume mündete diese Sichtweise (die sich auch an Frage der Abschaffung des Erbrechts, der revolutionären Subjekte, der Übergangsgesellschaft und dem Verhältnis zum Staat festmachte) in die Gründung der Antiautoritären Internationale in Saint-Imier 1872. - Dies war wohlgemerkt um die 50 Jahre vor Lenins Revolutionstheorie und seiner Abwertung des antiautoritären „linken Radikalismus“ als „Kinderkrankheit des Kommunismus“, wie seine Kampfschrift von 1920 heißt.
Hierbei ist zweierlei zu beachten: Erstens wurde und wird auch die Sozialdemokratie von Anarchist*innen aufgrund ihres Autoritarismus kritisiert und nicht lediglich ihre bolschewistische / parteikommunistische Zuspitzung (mit oder ohne Russische Revolution). Zweitens richtete sich die Bezeichnung antiautoritär gegen eine Gesellschaftsform, die in ihrer Gesamt als „autoritär“ verstanden wurde, insofern in ihr die Form des bürgerlichen modernen Nationalstaates umfangreich durchgesetzt wurde. Der moderne bürgerliche Staat zeichnet sich dadurch aus, dass er weltweit gegen Widerstand als dominante Form politischer Organisation durchgesetzt wurde; dass er sich in alle möglichen gesellschaftlichen Bereich erstreckt und diese zu regulieren beansprucht; dass er sich als kapitalistischer Staat konstituiert, damit die bürgerliche Rechtsordnung umsetzt und bürgerliche Individuen als Staatsbürger*innen (statt als Untertanen) adressiert; also, dass er eine ihm zugeordnete Bevölkerung hervorbringt und formt, die er vermittels der Zivilgesellschaft organisiert und adressiert.
Wer die Verwendung des Adjektivs „antiautoritär“ verstehen will, muss in der Geschichte also weiter zurückgehen, als zu den Flügelkämpfen während der Frühphase der Russischen Revolution von 1917-1921. Richtig ist dennoch, dass sich das „antiautoritäre“ Lager immer in Abgrenzung und in Bezug zu explizit autoritären Politikverständnissen und -stilen versteht und damit gewissermaßen eher sein Widerschein oder Korrektiv bleibt, statt selbstbestimmte Positionen hervorzubringen. Damit gelingt es zu wenig, die identitären Positionierungen hinter sich zu lassen, wie sie allzu oft in der gesellschaftlichen Linken vorhanden sind und die sich durch postmoderne Diskurse zugespitzt haben. (Siehe dazu auch Der Begriff „antiautoritär“ ist nicht genug [https://paradox-a.de/allgemein/der-begriff-antiautoritaer-ist-nicht-genug/])

7) Lenin als ideale Gesamt-Führungsfigur

Lenin interessiert als Person eigentlich nicht besonders. Ebenso wenig sollte man sich an anderen autoritären Führungsfiguren wie Trotzki, Stalin oder Mao abarbeiten. Zu begreifen ist allerdings, warum derartige Führungsfiguren, ihre Kadergruppen, Politikstile, ihre Gewaltanwendung und Intriganz sich im Zuge der Verfallserscheinungen von sozialen Bewegungen durchsetzen konnten und können. Wenngleich es nicht „den“ Leninismus schlechthin gibt, wie die Basisgruppe Antifa zurecht feststellt, gilt es jedoch den Leninismus überhaupt zu kritisieren, statt ihn in einen vermeintlich guten oder zu rechtfertigenden (weil „erfolgreichen“) und einen falsch verstandenen und zu verwerfenden (weil „sektiererisch“) zu unterteilen.
Die Frage, welche sich „antiautoritäre Linke“ und Anarchist*innen gleichermaßen stellen müssen ist hingegen jene, wie sie mit der Tatsache umgehen, dass die herrschenden Klassen ihre Privilegien niemals freiwillig oder durch demokratischen Druck, sondern nur durch den Aufbau einer stabilen Gegenmacht und den Einsatz von Gewalt, abgeben werden. In diesem Sinne ist der Leninismus als „Verlaufsform“ des „politischen Lebens“ zu verstehen – er füllt die Lücke, welche sich emanzipatorisch gesinnte Menschen nicht zu thematisieren trauen, indem er – autoritär – ein Primat des Politischen verordnet und damit die Mittel den Zwecken unterordnet.

8a) Das Primat des Politischen im autoritären Sozialismus und seine Wahrheit

Ja, Leninist*innen sehen in der Kaderpartei ein autoritäres Vehikel, um die Revolution voranzutreiben und diese Denkweise ist eminent voluntaristisch. Mit ihr wird davon ausgegangen, „die Revolution“ könne „gemacht werden“ und sie „zu machen“, wäre entschiedene Aufgabe der Revolutionär*innen. Wie so oft überrascht es deswegen nicht, dass gerade dieser Voluntarismus in einer Projektion den Anarchist*innen unterstellt wird – was wiederum schon auf die Sozialdemokrat*innen zurückreicht, welche erbost darüber waren, dass sich das anarchistische Lager nicht in die von ihnen „wissenschaftlich“ analysierten, „objektiven“ Bedingungen gesellschaftlicher Transformationsprojekte, eingliedern wollte. Die Wahrheit des autoritären Sozialismus besteht darin, dass mit ihm ernsthaft der Frage nachgegangen wird, wie eine revolutionäre Organisationsform aufgestellt sein müsste, wenn mit ihr die eiserne Härte der Herrschaftsinstitutionen und die Skrupellosigkeit der herrschenden Klassen ernst genommen wird.

8b) Anti-Imperialismus als integraler Bestandteil neoleninistischer Gruppierungen

In Hinblick auf die These acht-b ist zunächst ein längerer gedanklicher Schlenker zu vollziehen, bevor man nachvollziehen kann, wieso der leninistische Anti-Imperialismus letztendlich eine Attraktivität des autoritären Denkens für Linke begründet. Der leninistische Anti-Imperialismus kann schon in den 1920er Jahren kritisiert werden, ist allerdings in seinem Kontext zu sehen. Ihn heutzutage zu reproduzieren, wie es durch die K-Gruppen geschieht, zeugt eben nicht von deren historischem Bewusstsein, sondern ihrer instrumentellen Fetischisierung von Geschichte. Gleichwohl erweist sich leider auch die Basisgruppe Antifa mit ihrem Verweis auf die „Theoretiker*innen der kritischen Theorie und von 68ff.“ als kritisch-theoretisch hängen geblieben. Zwar ist dies ein pauschaler Vorwurf, aber im Kontext durchaus anzubringen, dass mit der feministischen, postkolonialen, poststrukturalistischen, abolitionistischen und anarchistischen Theorieentwicklung der letzten dreivier Jahrzehnte durchaus Neuerungen vorhanden sind, welche es zu beachten gälte.
Das Argument, dass die vermeintlichen „Wahrheiten“ der autoritären Kommunist*innen überzeugend wären, weil die Theorieentwicklung auf emanzipatorischer Seite nicht fortgeschritten genug sei, ist meines Erachtens nach falsch. Die Basisgruppe Antifa verkennt eine wesentliche Einsicht der Kritischen Theorie: Die Attraktivität der autoritär-kommunistischen Positionen besteht eben nicht in ihrer theoretischen Unterfütterung, die als vermeintlich klare Wahrheiten ausgegeben werden können, sondern darin, dass sie auch die Theorie letztendlich durch ihre Ideologie instrumentalisieren – und damit die Analyse den vorab festgesetzten Handlungsmaximen unterwerfen.
Nicht Ideologie als solche ist dabei das Problem, sondern ihre Naturalisierung und Essentialisierung, ihr normativer Moralismus und epistemologische Verengung. Mit anderen Worten gilt es Ideologie in ihrem spezifisch-historischen, gesellschaftlichen Kontext zu verstehen und bewusst und transparent zu machen, um mit ihr emanzipatorisch umzugehen. Dies liegt den autoritären Kommunist*innen allerdings fern, denn dadurch würde das kritische Denken ihrer Anhänger*innen und das Bewusstsein der Aktiven in sozialen Bewegungen gestärkt werden – weswegen sie sich nicht anführen lassen, sondern selbstbestimmt und autonom handeln wollen würden.
Daher muss man hinter die vermeintlichen „Wahrheiten“ der leninistischen Strömungen schauen, um verstehen zu können, was es bedeutet, dass der Kapitalismus grundsätzlich globalisiert ist – nicht erst seit den 70er oder 80er Jahren, sondern bereits während seiner Verbreitung im 19. Jahrhundert. Die Basisgruppe Antifa verstrickt sich dahingehend leider in Unterstellungen. Sicherlich würden autoritäre Kommunist*innen nicht die Vorstellungen teilen, dass „jeder Ort der Welt […] abstrakt gleichermaßen ein möglicher Ort der beginnenden Weltrevolution“ wäre und die Partei aus diesem Grund „immer eine Internationale sein“ müsse. Vielmehr wird der real vorhandene Transnationalismus der sozialistischen Bewegungen aufgegriffen, der vor und während den Weltkriegen schrecklich gelitten hatte. An ihn wird appelliert, weil es schlichtweg logisch ist, dass Emanzipationsprozesse in globaler Verwobenheit stattfinden. Keine Arbeiter*in in der BRD ist frei, wenn die auf Kosten der Arbeitsbedingungen in China geschieht, keine queere Person in Westeuropa frei, wenn ähnlich positionierte Personen in Russland oder Ghana verfolgt werden etc..
Die von der Basisgruppe Antifa unterstellte „Sprachlosigkeit“ oder theoretische „Oberflächlichkeit“ der antiautoritären Linken ist zwar real, scheint jedoch insbesondere diese selbst zu betreffen. Denn es gibt allerlei Antwortversuche auf die Frage nach globalen gesellschaftlichen Alternativen, nach Organisationsformen und Transformationsstrategien – man müsste sich nur mit den real-existierenden sozialen Bewegungen auseinandersetzen. Die antifaschistische Szene bleibt allzu oft monothematisch in ihrem Horizont hängen.

9) Autoritäre Pseudo-Lösungen und Sehnsuchtsobjekte über den „Rechtsruck“ hinaus

Verständlicherweise haben autoritäre Lösungsangebote dort Hochkonjunktur, wo die Gesellschaftsform von massiven Krisen in Bezug auf Kriege, Inflation, Pandemien etc. erschüttert wird. Dies ist eine plausible strukturelle Erklärung für den jüngeren Aufstieg des autoritären Kommunismus. Gleichzeitig muss man den kritisierten Gruppierungen auch lassen, dass sie sich ganz gut organisiert und vehement agitiert haben. Mit anderen Worten leben ihre Kaderpersonen für ihre Überzeugungen – und das übt große Anziehungskraft auf desorientierte Angehörige einer diffusen gesellschaftlichen Linken aus, die dem Hedonismus, der Pseudo-Klandestinität und linksliberalen Deutungsangeboten frönt. So bedienen die K-Gruppen das Bedürfnis (insbesondere auch jüngerer Menschen), in all der Verwirrung eine klare Kante aufzuzeigen und sich rebellisch fühlen zu können. Dies tun sie, ohne, dass ihre Anhänger*innen im besten Sinne militant, also aufgeweckt und lebendig werden müssen. So tun es, ohne, dass ihre Fans wirklich radikal, das heißt gesellschaftskritisch und selbstreflektiert, werden müssen.
Eine wichtige strategische Entwicklung scheint dahingehend zu sein, dass die verschiedenen K-Gruppen nicht mehr – wie teilweise in früheren Jahrzehnten – einen großen Teil ihrer Energie darauf verschwenden, sich unter dem Vorzeichen des „Opportunismus“ und „Revisionismus“ gegenseitig zu zerfleischen. Sie haben in ihrem Lager kooperieren gelernt, beziehen sich aufeinander und scheinen bisweilen auch arbeitsteilig vorzugehen.
Ihre verkürzte Ideologie ist deswegen wirksam, weil sie in vielerlei Hinsicht falsch ist. Sie steht anachronistisch gegen den Zeitgeist, wobei sie mit ihrer Glorifizierung einer vermeintlich erfolgreichen kommunistischen Revolution in Russland, nicht lediglich rückwärtsgewandt ist. Vielmehr schafft sie einen transzendenten Bezugspunkt in der imaginären Projektion einer ganz anderen gesellschaftlichen Totalität – und motiviert deswegen für ein politisches Projekt, dass eine geordnete Zukunft verspricht.

Mit der Bezugnahme auf den Begriff des „Rechtsrucks“ erliegt die Basisgruppe Antifa leider einer verkürzten Denkweise, wie sie in der bürgerlichen Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlichen Diskussionen geprägt wurde. Zweifellos haben rechtspopulistische und neofaschistische Akteure und Parteien in ganz Europa in den letzten Jahren Erfolg um Erfolg verbuchen können und werden in mehreren europäischen Nationalstaaten an der Regierung beteiligt werden oder diese gar anführen. Dies ist vor dem Hintergrund eines globalen Trends zu verstehen, denken wir an die Regime von Trump, Bolsonaro, Milei, Erdogan, Putin, Modi, Xi Jinping und Ferdinand Marcos. Mit keinem Wort thematisiert die Basisgruppe Antifa die Schwierigkeiten der Kapitalverwertung, die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Notwendigkeit der Flucht von Millionen Menschen, die unglaublich weit auseinander klaffende Reichtumsverteilung, die Ausweitung des Krieges und den systematischen Ausbau von Überwachung und Repression seit der Jahrtausendwende.
Alles in allem handelt es sich hierbei nicht um einen bloßen „Rechtsruck“, sondern um eine Zunahme des Autoritarismus als gesellschaftliches Phänomen, aber ebenso hinsichtlich der Ausgestaltung von Staatsformen. Dass die Basisgruppe Antifa in Hinblick auf die Gründung und Popularität von BSW ebenso wie beim Wiedererstarken K-Gruppen betont, dass diese dennoch „links“ seien, ist banal. Denn „links-sein“ und autoritär denken und handeln waren noch nie die Gegensätze, für die sie aufgeklärte Kommunist*innen halten mögen.

10) Deutsch ist der korporatistische Geist

Der „deutschen Sonderweg“, welchen die Basisgruppe Antifa in Hinblick auf das Wiedererstarken der K-Gruppen sieht, erscheint ihnen tatsächlich nur selbst so. Tatsächlich korreliert der Aufstieg teilweise finster-reaktionärer, autoritär-kommunistischer Gruppierungen auch in Spanien und Griechenland mit dem Ausnahmezustand und den Diskursen während der Corona-Pandemie. Des Weiteren mag es sein, dass die Basisgruppe Antifa zuvor so gut wie keinen autoritären K-Gruppen in „außerparlamentarischen Bewegungen und sozialen Kämpfen in Deutschland der letzten Jahrzehnte“ begegnet ist. Hätten sie die Augen aufgemacht und sich etwas weiter umgeschaut, hätten sie feststellen können, dass kontinuierlich autoritäre Tendenzen in der gesellschaftlichen Linken vorhanden waren, die über ein paar Sekten-Spinner und hängen gebliebenen Stalin-Fans hinaus gingen.
Mit ihrer Vorstellung eines vermeintlich „deutschen Sonderweges“, schieben sie leninistische Politikstile letztendlich dem DDR-Regime unter und versuchen damit auch die Marginalität linksautoritärer Strömungen bis in die jüngere Zeit zu erklären. Dabei ignorieren sie die Tatsache, dass es auch in ihrem eigenen Milieu stets autoritäre Tendenzen gab und ein Umkippen des antiautoritären Habitus in autoritäre Einstellungen immer eine Option war. Allzu oft blieb der Antiautoritarismus ein Reflex des Aufbegehrens, statt eine Position zu sein, die sich gegen eine autoritäre Formierung der Gesellschaft richtet. Der vermeintliche „deutsche Sonderweg“ besteht nicht darin, dass die K-Gruppen lange Zeit in sozialen Bewegungen keine Rolle gespielt haben, sondern darin, dass es (im Unterschied etwa zu allen osteuropäischen Ländern, aber auch in Griechenland und den USA) keine klare Distanzierung gegenüber autoritärem Kommunismus gegeben hat.
Ironischerweise liegt dies an der traditionellen Dominanz sozialdemokratischer Prägung in der deutschsprachigen Linken. Entgegen aller verbalradikalen Rhetorik, wurde das eigene Agieren in Wirklichkeit nur selten gegen oder jenseits, sondern meistens in Bezug auf staatliche Politik gedacht. Der korporatistische Geist hat sich weitgehend durchgesetzt. Dies geschah und geschieht durch die staatliche Finanzierung von Bildungsprojekten und sozialen Zentren, die ausgeprägte Verregelung und Verrechtlichung aller möglichen gesellschaftlichen Bereiche, die Partizipationsmöglichkeiten in einer zumeist handzahmen Zivilgesellschaft, sowie durch die Einbeziehung von NGOs in den politischen Prozess. Deswegen entwickeln linke Gruppen eine mangelnde Initiative und ein geringes Bewusstsein über sich selbst. Damit verbunden ist eine nur spärlich ausgeprägte Vorstellung davon, was es bedeuten würde, sich selbst, autonom und präfigurativ zu organisieren.
Dennoch ist der Schlussfolgerung der Basisgruppe Antifa zuzustimmen, wenn diese schreiben: „In diesem Sinne lässt sich deshalb eher gerade von einer Angleichung der innerlinken Kräfteverhältnisse in der BRD im Zuge des Rechtsrucks an die weltweiten Verhältnisse sprechen. Nicht Abwehr oder Ignoranz, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit des eigenen Nachholbedarfs in der Analyse und Kritik der autoritären Linken sind richtige Antworten hierauf“.

11) Emanzipation statt Autoritarismus durch Selbstkritik

Wie erwähnt ist das leninistische Primat des Politischen die theoretische Grundlage des instrumentellen und intriganten Agierens autoritärer Kommunist*innen. Ihr dogmatisches Wahrheitsverständnis verlangt nur einige theoretische Rudimente, legitimiert für sie aber nichts desto trotz ihren eigenen Führungsanspruch innerhalb linker Szenen und Bewegungen. Die Basisgruppe Antifa erklärt dies mit einer autoritären Auflösung eines „dialektischen Verhältnisses von Reform und Revolution“. Élisée Reclus beschrieb bereits in einem Aufsatz von 1891, dass Reform und Revolution aufeinander verwiesen und zwei Momente des selben transformatorischen Prozesses wären. Als Anarchist verstand er diese aber dezidiert nicht als politische Reformen und Revolutionen – und skizzierte dahingehend bereits einen anderen Ansatz als jener in der Tradition von Rosa Luxemburg, auf welche sich die Basisgruppe Antifa bewusst oder unbewusst zu beziehen scheint.
Die Entgegensetzung von „Reform“ und „Revolution“, welche den K-Gruppen zu ihrer pseudoradikalen Selbstinszenierung und ihrem peinlichen, aber wirkungsvollen Selbstbewusstsein dient, ist in theoretischer Hinsicht grundlegend problematisch. Dies stellt die Basisgruppe Antifa auch eindeutig fest. Vor allem kann man sich mit diesem Schema nicht von der Fixierung auf den Staat lösen und verbleibt in den althergebrachten Konzepten einer (illusorischen) Übernahme der Staatsmacht durch Kadergruppen, der isolierten Szene-Distanz und/oder der sozialdemokratischen Vorfeldpolitik. In Auseinandersetzung damit entwickelten Anarchist*innen die Transformationsansätze von mutualistischer Selbstorganisation, Aufstand und Subversion, autonomer Bewegung und sozialer Revolution. Diese dienen an dieser Stelle lediglich als Hinweis darauf, dass die wirkungsvollste Strategien, sich mit den K-Gruppen auseinanderzusetzen, darin besteht, eigenständige Transformationsstrategien zu entwickeln. Dies verlangt allerdings auch die Skizzierung von Fluchtpunkten zu einer anderen Gesellschaftsform, die als libertärer Sozialismus bezeichnet werden kann. In diesem Sinne ist der Basisgruppe Antifa absolut zuzustimmen, wenn sie schreiben:
„Als antiautoritäre Linke haben wir dagegen etwas materiell Nützliches zu den Kämpfen beizutragen. An die Stelle von Massenorganisationen, Schulungen und Parteiaufbau setzen wir Ideologiekritik und Selbstorganisation, Selbst- und Gesellschaftsveränderung als ein sich bedingendes, praktisches Verhältnis. Kämpfe um Verbesserungen statten wir so mit einer organisch aus sich heraus, perspektivisch über diese Gesellschaft hinausweisenden Perspektive aus. Reform und Revolution sind so kein Gegensatz, sondern werden zur gegenseitigen Bedingung, die ohne eine die sie führenden Partei auskommt, Befreiung zur Selbstbefreiung und damit überhaupt erst emanzipatorisch“.

Eine Kritik der autoritären Linken kann sinnvollerweise nur mit einer grundlegenden Selbstkritik einhergehen. Dabei ist ein Selbstverständnis als antiautoritär nicht ausreichend. Es braucht eine Stärkung des Bewusstseins über sich selbst, der eigenen Positionen und Perspektiven. Deswegen führe ich zum Abschluss dieses Beitrags eine Wahrnehmung von vier Strömungen der „antiautoritären Linken“ an. Bei aller Kritik bleibt diese solidarisch, insofern davon ausgegangen wird, dass sich etliche Personen und Gruppen ernsthaft engagieren und unter teilweise schwierigsten Bedingungen einen klaren Kopf bewahren und selbständig denken und handeln.

Anhänger*innen der Kritischen Theorie haben dahingehend versagt, dass sie mit ihrer dogmatischen Handhabung des Bilderverbotes, sowie mit ihrer häufig polemischen Feindseligkeit gegenüber sozialen Bewegungen, die verständliche Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaftsform in den Bereich der Mythologie abgeschoben haben. Die historisch notwendige Skepsis der Antideutschen hat sich überlebt und sich seit Jahren als plumpe Arroganz verselbständigt mit der kein Blumenstrauß mehr zu gewinnen ist.

Autonome und anarchistische Zusammenhänge haben insofern versagt, als dass aus ihrem Praxisfetischismus, ihrer Unverbindlichkeit, ihrem Individualismus und ihrer Diskontinuität keine seriösen Organisationsangebote hervorgehen. Was bleibt sind tendenziell subkulturelle Blasen, deren Angehörige zwar teilweise intensive Beziehungen pflegen und Aktionen hervorbringen, sich aber borniert nach außen hin abschotten. Dies ist zwar einer Eigendynamik geschuldet, allerdings ebenfalls Folge der anhaltenden staatlichen Repression und der medialen Hetze, mit welcher radikale Bestrebungen ins Szene-Ghetto verdrängt werden.

Einige Aufbrüche gab es in den letzten anderthalb Jahrzehnten durch verschiedene „postautonome“ Gruppierungen, die mehrere erfolgreiche Kampagnen durchgeführt haben. Gleichwohl blieben ihre Strategien häufig aktionistisch und oberflächlich. In ihnen zeigte sich eine gewisse Unentschiedenheit zwischen außerparlamentarischer Vorhutbewegung und einer selbstorganisierten, nach Autonomie strebenden Bewegung, die sich selbst als handelnden Akteur begreift. Mit postautonom geprägten Kampagnen wurde tausenden von Personen die Erfahrung von kollektivem zivilen Ungehorsam ermöglicht und eine Generation von „Aktivist*innen“ geprägt. Gerade der Aktivismus steht jedoch für einen problematischen Politizismus, das heißt, für eine Fetischisierung von bestimmten Aktions- und Organisationsformen und von spezifischen Sprach-Codes. Dadurch geschieht eine Entkoppelung von den Interessen, Gefühlslagen und der Sprache eines großen Teils der Bevölkerung.

Schließlich sind noch linksliberale Ansätze zu nennen, die unter anderem durch US-amerikanische Diskurse und die Funktionsweise von sozialen Medien weit verbreitet wurde und gleichermaßen auf die Ablehnung eher traditioneller Linker stoßen. Es ist billig, sich von diesen Ansätzen, welche insbesondere, aber nicht ausschließlich, in queerfeministischen und postkolonialen Bewegungen vorhanden sind, pauschal abzugrenzen. Mit ihnen wurden und werden progressive Entwicklungen möglich, wie etwa die jüngere Thematisierung queerer Lebensentwürfe und eine grundlegende Patriarchatskritik, der endlich umfassend Gehör verschafft werden konnte. Dennoch fehlt es in diesem Lager häufig an Gesellschaftsanalyse und -kritik und bleibt es dementsprechend anfällig für die Herrschaftsmechanismen der neoliberalen Technokratie.

„Emanzipation statt Autoritarismus“ ist die richtige Losung, die über antiautoritäre Reflexe hinaus verweist. Der Antiautoritarismus ist dennoch wiederum das Korrektiv für das sozialdemokratisch-korporatistische Politikverständnis, wie es insbesondere in der deutschsprachigen gesellschaftlichen Linken nach wie vor vorhanden zu sein scheint. Es gilt, dass eigene Projekt zu skizzieren. Dieses dient nicht dazu, ein abstraktes Programm zu entwerfen, dass man politisch durchsetzen möchte, sondern Orientierung zu erhalten, wofür wir kämpfen. Doch dazu an anderer Stelle mehr…