Heimliche Gesichtserkennung auch in Niedersachsen



via Netzpolitik.org:

Auch Ermittler:innen in Niedersachsen nutzen zur verdeckten Observation ein mobiles System zur Gesichtserkennung. Das bestätigte ein Sprecher der Polizeidirektion (PD) Hannover. Die Technik stammt demnach aus Sachsen und wurde in einem Verfahren wegen bandenmäßiger Eigentumskriminalität eingesetzt. Der Einsatz in Niedersachsen habe „Hinweise auf die von den der Bande zugeordneten Personen benutzten Fahrzeuge“ geliefert, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage des „nd“. Diese hätten sich als „hilfreich für die parallel laufenden konventionellen Observationsmaßnahmen“ erwiesen.

Die Verwendung einer solchen mobilen Observationstechnik war vor einigen Wochen erstmals in Berlin bekannt geworden. Die sächsische Staatsregierung hatte daraufhin auf eine parlamentarische Anfrage erklärt, das System in Amtshilfe neben Niedersachsen auch in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Baden-Württemberg eingesetzt zu haben.

System stammt aus der Oberlausitz

Die in Niedersachsen heimlich aufgenommenen Fotos wurden den Angaben zufolge mit Polizeidatenbanken abgeglichen, die Bilder aus erkennungsdienstlichen Maßnahmen (ED-Maßnahmen) enthalten. Um welche Datenbanken es sich handelt, erklärte der Sprecher nicht. Möglicherweise handele es sich um Referenzdateien, in denen nur die Tatverdächtigen des jeweiligen Verfahrens gespeichert sind. Die niedersächsische Landespolizei hat aber auch Zugriff auf das bundesweite INPOL-System, in dem rund sechs Millionen Gesichtsbilder von etwa vier Millionen Personen hinterlegt sind. Diese stammen zu etwa gleichen Teilen aus der ED-Behandlung oder Asylanträgen.

Als Rechtsgrundlage für den Einsatz in Niedersachsen nennt die Polizei in Hannover den Paragrafen 98c der Strafprozessordnung (StPO). Er regelt den „maschinellen Abgleich mit vorhandenen Daten“ zur Aufklärung einer Straftat oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes einer Person, nach der in einem Strafverfahren gefahndet wird.

Mit der Auskunft aus Hannover werden erstmals auch Details zu der heimlichen Observationstechnik aus Sachsen bekannt. Wie vermutet, handelt es sich dabei um eine mobile Variante des „Personen-Identifikations-Systems“ (PerIS), das die PD Görlitz zusammen mit der Firma OptoPrecision aus Bremen entwickelt hat.

Als „PerIS-Mobil“ in Lieferwägen verbaut

Das PerIS arbeitet derzeit stationär in fünf fest installierten Kamerasäulen in Görlitz und Zittau. Dort nimmt es an der Grenze zu Polen Gesichtsbilder und Kennzeichen auf, wenn Personen in Fahrzeugen vorbeifahren. Die Polizei der Oberlausitz stellte die bewegungsgesteuerte Anlage auch bei einer Konferenz der EU-Grenzagentur Frontex vor und bezeichnete sie dort als „europaweit einzigartig“.

Seit Ende Februar 2021 verfügt auch die Polizei in Görlitz über ein mobiles Gerät mit der Bezeichnung PerIS-Mobil“, dessen Bestand nach Angaben der sächsischen Landesregierung inzwischen auf zwei Fahrzeuge angewachsen ist. Eines ist weiß, das andere ist orange.

Auf der Webseite des Herstellers ist auch zu sehen, wie die Anlage in dem Lieferwagen verbaut ist. Nach Angaben der Polizei in Hannover fallen täglich rund sechs Terabyte Daten von Gesichtern und Autokennzeichen an, die durch eine „eigens entwickelte komplexe Software“ ausgewertet würden. Eine „mühsame Sichtung einzelner Videoclips nach relevanten Daten“ durch Beamt:innen könne demnach „zumeist entfallen“. Alle danach nicht mehr benötigten Daten würden nach 96 Stunden „automatisch und unwiderruflich gelöscht“.

„Automatisierte Detektion“ auch in Echtzeit möglich

Bei der Fahndung nach Fahrzeugen, Kennzeichen und Personen sei auch die Eingabe „einzelner Zahlen- oder Buchstabenfragmente möglich“, heißt es aus Hannover. Dort werde die Technik nur retrograd, also nicht in Echtzeit genutzt. Vorbehaltlich der rechtlichen Ausgangslage sei aber die „automatisierte Detektion“ von Gesichtern und Kfz-Kennzeichen auch in einem „Live-Modus“ möglich. Dies hatte Sachsens Polizei auch in der Präsentation bei Frontex erklärt. Im eigenen Bundesland wird die Funktion laut einer weiteren Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aber nicht genutzt. Demnach gab es in der Oberlausitz ausschließlich „händische retrograde Datenabgleiche“.

Nach Auskunft der dortigen Staatsanwaltschaft fand ein solcher Echtzeit-Einsatz jedoch in Berlin statt. Grundlage des Einsatzes war demnach der Rasterfahndungsparagraf 98a der Strafprozessordnung (StPO). Er erlaubt bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, dass Daten überwachter Personen „mit anderen Daten maschinell abgeglichen werden“. Weil die sächsische Datenschutzbeauftragte darüber nicht informiert wurde, hat sie nun Beschwerde eingereicht.

Auch aus Berlin ist nicht genau bekannt, mit welchen Referenzbilddaten die heimlichen Aufnahmen abgeglichen wurden. Neben Fotos aus ED-Maßnahmen kann hierzu nach Auskunft der PD Hannover auch ein „aussagekräftiges und qualitativ hochwertiges Foto aus den sozialen Medien“ genutzt werden.