Alle 3,5 Stunden durchsucht die Polizei ein Smartphone (Sachsen-Anhalt)



In Sachsen-Anhalt durchsucht die Polizei pro Jahr mehr als 2.500 Mobiltelefone. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion die Linke im Magdeburger Landtag hervor. Das Dokument gibt einen Einblick in die Auswertung von Smartphones – doch wichtige Fragen bleiben offen.

Das Smartphone enthält wichtige Daten über unser Leben. Hunderte WhatsApp-Chats, die Bildergalerie oder Dating-Apps. Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheit an der Uni Bremen, bezeichnete das Smartphone gegenüber netzpolitik.org als „ausgelagertes, digitales Gedächtnis“. Der Grundrechtseingriff ist also enorm, wenn Polizeien die Geräte sicherstellen oder beschlagnahmen.

Fast 13.000 Smartphones in 5 Jahren

Zahlen zu diesem Grundrechtseingriff gibt es allerdings kaum. Im Rahmen einer Recherche von netzpolitik.org im Herbst 2023 lieferten nur Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein Zahlen. Nun kommt mit Sachsen-Anhalt ein weiteres Bundesland hinzu.

Wie aus der Antwort der Landesregierung auf die Anfrage hervorgeht, ließ die Polizei in den vergangenen fünf Jahren 12.988 Mobiltelefone forensisch aufbereiten und untersuchen. Das sind fast 2.600 pro Jahr – oder durchschnittlich ein Smartphone alle dreieinhalb Stunden. Zudem werden etwa 300 Tablets pro Jahr forensisch untersucht. Insgesamt sind die Zahlen über den angegebenen Zeitraum recht stabil. 2021 wurden vergleichsweise viele Smartphones und Tablets untersucht (3.323), 2023 vergleichsweise wenig (2.497).

Die aufgeführten Daten stammen aus den Fachbereichen „EDV-BuA“ der Polizei. Das kryptische Kürzel steht für Elektronische Datenverarbeitung – Beweissicherung und Auswertung. Eine andere „statistisch auswertbare Erfassung“ erfolgt laut Staatsregierung weder bei der Polizei, noch bei den Staatsanwaltschaften.

Was in der Statistik fehlt

Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Die Linke, hält die Zahlen darum für wenig aussagekräftig: „Das sagt erstmal noch nicht viel aus, weil man [die Zahl der untersuchten Geräte] ins Verhältnis zur Zahl der beschlagnahmten Geräte setzen müsste.“ Diese könne die Landesregierung nicht mitteilen, sagt Quade. „Insofern kann die geringere Zahl an weniger Beschlagnahmungen, aber auch schlicht an längeren Bearbeitungszeiten für forensische Untersuchungen liegen.“

Durch die fehlende Statistik ist auch in Sachsen-Anhalt weiter unklar, bei welchen Tatvorwürfen die Polizei Geräte beschlagnahmt oder sicherstellt. Passiert es überwiegend bei Sexualstraftaten? Oder auch bei weniger schweren Taten wie Sachbeschädigungen?

Quade kritisiert: „Dass es im Jahr 2024 kein auf moderne IT gestütztes Asservatenverwaltungssystem gibt, mit dessen Hilfe sich solche Daten ja leicht zusammenstellen ließen, ist in keiner Weise nachvollziehbar.“ Laut der Oppositionspolitikerin resultiert das Problem auch aus dem „hochgradig besorgniserregenden allgemeinen Zustand der Asservatenverwaltung“ bei der Polizei in Sachsen-Anhalt. Sie verweist auf einen Bericht des Landesrechnungshofs von 2023. Der Rechnungshof spricht von „groben Sicherheitsmängeln bei der Asservatenverwaltung“ und „schweren Fehlern bei der Protokollierung“.

Handys einbehalten trotz kopierter Daten?

Neben den mehr oder weniger aussagekräftigen Zahlen gibt die Antwort auch Einblicke in die Abläufe polizeilicher Handydurchsuchungen. So wird vom Inhalt des Geräts „eine bitgenaue Kopie erstellt“, die anschließend für die Sachbearbeitung aufbereitet wird.

Doch wenn solche Kopien existieren, warum gibt die Polizei die Geräte dann nicht sofort zurück? Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt schreibt uns dazu: Der Kopiervorgang sei „für die ermittlungsführende Polizeidienststelle nicht maßgeblich für die Herausgabe einer sichergestellten oder beschlagnahmten Sache. Der im Ermittlungsverfahren sachleitenden Staatsanwaltschaft obliegt diese Herausgabeentscheidung.“

Zudem kann der Staat Gegenstände dauerhaft einziehen, die zur Begehung oder Vorbereitung einer Tat verwendet wurden (§ 74 StGB). Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Doch ob die Einziehungen auch in der Realität flächendeckend verhältnismäßig sind, ist ohne eine genaue Statistik schwer zu beurteilen.

Hier die Zahlen aus der Kleinen Anfrage, aus dem PDF befreit und um die jeweiligen Jahressummen ergänzt.

Für die tabellarische Auflistung der einzelnen Regionen und der Zahl der beschlagnahmten Smartphones im Jahresvergleich https://netzpolitik.org/2024/sachsen-anhalt-alle-35-stunden-durchsucht-die-polizei-ein-smartphone/