Auf der Seite der Unterdrückten. Gaza, Israel und die Ablehnung der Logik des Krieges



Seit dem 7. Oktober werden wir wieder dazu gedrängt, uns zu entscheiden. Wir sollen uns entscheiden, ob wir das langanhaltende System der Ausbeutung und Gewalt der israelischen Regierung unterstützen oder das Gemetzel der Hamas im Namen der nationalen Befreiung. Die Medien und alle Institutionen, die Israels Politik unterstützen, sagen uns, dass wir entweder die Massentötung von Palästinenser*innen akzeptieren oder die Vernichtung Israels und des jüdischen Volks wollen. Die Politik des Krieges wurzelt in einer Doppelmoral, die Wörter wie „Invasion“, „Recht auf Verteidigung“ und „humanitäre Intervention“ nahezu entleert und nutzlos gemacht hat. Eine Besetzung ist schlecht, eine andere ist gut.  Die Kriegspolitik findet immer ihre Berechtigung. Wir dagegen müssen kämpfen und unsere transnationale Friedenspolitik durchsetzen.

Wir rufen dazu auf, die Bombardierungen des Gazastreifens zu stoppen. Wir unterstützen und beteiligen uns an Demonstrationen und Aktionen gegen die Besatzung und Apartheid in Palästina, für einen sofortigen Waffenstillstand und gegen die Kriegsmaschinerie. Das Massaker muss aufhören. Aber wir wissen, dass diese Forderung nicht ausreicht, um die Logik des Krieges nachhaltig zu unterbrechen. Der Frieden, den wir wollen, ist nicht die Zeit zwischen einem Krieg und dem nächsten.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine und auch jetzt, seit der Krieg in Palästina tobt, haben wir gesehen, wie Regierungen Partei für eine Seite ergreifen und sich von geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen leiten lassen, gleichgültig und blind gegenüber dem Leben von Männern, Frauen, Kindern und queeren-Personen. Wir sehen, dass diejenigen, die den Krieg unterstützen, auch diejenigen sind, die Migrant*innen angreifen, die das Grenzregime und die Gewalt verstärken wollen. Wir sehen, dass diejenigen, die mit Eskalationen drohen, auch diejenigen sind, die wollen, dass Frauen in einer untergeordneten Position bleiben. Wir sehen, dass diejenigen, die den Krieg unterstützen, diejenigen sind, die von uns verlangen, mehr für die Kriegsanstrengungen zu arbeiten. Mutig in dieser Situation zu sein bedeutet, die Dichotomien der Kriegslogik abzulehnen. Es bedeutet auch anzuerkennen, dass im gegenwärtigen Krieg in Gaza die beiden ‚Seiten‘ weder gleich noch homogen sind: Palästinenser*innen werden vertrieben, ihre Gebiete geteilt und besetzt. Arabische Bürger*innen Israels, ob Muslim*innen oder Christ*innen, und Palästinenser*innen im Westjordanland werden gezwungen, ihren Dissens zu schlucken oder sie riskieren, gefeuert, schikaniert oder getötet zu werden. Israel selbst ist geteilter als es scheint: Jüdische Bürger*innen in Israel verweigern den Militärdienst und verurteilen den Krieg, und andere gehen auf die Straße, um gegen Netanjahus Aktionen zu protestieren und das Ende der Angriffe auf Gaza zu fordern, viele jüdische Gemeinden weltweit tun es ihnen gleich. Die Kriegslogik macht jene Demonstrationen, Streiks und internen Kämpfe unsichtbar, die in Israel und in Gaza stattfanden, gegen Netanjahus Justizreform und gegen die Hamas und auch gegen jedes Projekt religiösen Radikalismus.

Die bestehenden Fronten abzulehnen, bedeutet nicht, dass wir uns weigern, Partei zu ergreifen, sondern dass wir uns weigern, dies entlang der Spaltungen zu tun, die uns auferlegt werden. Wir fallen den Spaltungen nicht zum Opfer, die uns auf die Seite Israels oder der Hamas, Selenskyjs oder Putins, von „dem Westen oder dem Rest“ drängen, denn diese Spaltungen existieren nur in den Köpfen unserer Regierungen. Die bestehenden Fronten abzulehnen bedeutet, zu versuchen, Räume für unsere Politik zu öffnen; eine Politik transnationaler sozialer Bewegungen, die nicht vom geopolitischen Imaginären, von Staaten, Nationen, Ethnien oder Religionen vereinnahmt wird. Wir akzeptieren nicht, dass der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung bedeutet, andere Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen zu akzeptieren. Es gibt keine Befreiung, wenn Krieg, Gewalt gegen Frauen und Queers, Rassismus und Ausbeutung weiter andauern.

Wir streiken gegen den Krieg und verfolgen eine transnationale Friedenspolitik, die die Barrieren und Grenzen, die dieser Krieg aufbaut, durchbricht. Eine transnationale Friedenspolitik ist weder Befriedung noch einfacher Pazifismus. Wir wollen uns für eine Perspektive einsetzen, die es uns ermöglicht, eine politische Kommunikation über unterschiedliche Fronten und Lager hinweg zu etablieren, Organisierung ausgehend von sozialen Kämpfen und zwischen verschiedenen Subjekten herzustellen, um die Opposition zum Krieg zu etwas zu machen, dass mehr ist als eine Meinung. Wir erkennen die individuellen und kollektiven Verweigerungen gegenüber dem Krieg an. Unsere Ablehnung der Logik des Krieges erlaubt es uns zu verstehen, wessen Partei wir ergreifen sollen. Wir stellen uns auf die Seite der Unterdrückten, derer, die gegen Tod, Unterdrückung und die durch den Krieg hervorgerufene Verarmung kämpfen. Was seit dem 7. Oktober passiert, hat es schwieriger gemacht, unsere Kämpfe in Gaza, in Israel und in all unseren Kontexten fortzusetzen. Nach dem Angriff hat Israels Massaker gegen Gaza, zusammen mit der Fortsetzung der Vertreibung von Palästinenser*innen, die Quellen von Leid und Wut vervielfacht. Während dies einen inakzeptablen menschlichen Tribut in der Region fordert und eine weitere Ausweitung der militärischen Konfrontationen droht, sind es die Auswirkungen dieses Krieges, die die Kämpfe von Migrant*innen, Frauen, Queers und Arbeiter*innen unsichtbar machen und bedrohen, obwohl sie weiterhin stattfinden.

Wir lehnen die Normalisierung des Krieges ab und wollen das Ende des Tötens und der Zerstörung in Gaza und in der Ukraine. Wir kämpfen für eine transnationale Friedenspolitik gegen Rassismus, Gewalt und Ausbeutung. Indem wir die Wurzeln patriarchaler Gewalt, Ausbeutung und Rassismus angreifen, überschreiten wir die uns auferlegten Grenzen. Als Aktivist*innen der Permanent Assembly Against The War der Transnational Social Strike-Plattform verpflichten wir uns, dies in allen lokalen Kämpfen zu tun: in feministischen oder migrantischen Mobilisierungen, in Kämpfen für die Erhöhung der Löhne oder für Klimagerechtigkeit, in den Aktionen gegen die Militarisierung und das Grenzregime und in allen transnationalen Initiativen, wie der Mobilisierungen zum 25. November gegen patriarchale Gewalt und zum feministischen Streik vom 8. März. Weiterzukämpfen, die politische Kommunikation und Organisierung zu stärken, sind unsere Werkzeuge, um den Krieg zu schlagen und zu definieren, welche Art von Zukunft wir wollen und wie wir sie gedenken aufzubauen: Das ist unsere transnationale Friedenspolitik.

https://www.transnational-strike.info/2023/11/11/auf-der-seite-der-unterdruckten-gaza-israel-und-die-ablehnung-der-logik-des-krieges/