Hitler, Hetze, Holocaust – was die „Itioten“ der Hessischen Polizei für Humor halten



kopiert von itiotentreff.chat

Triggerwarnung: In dieser Sendung geht es um Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Holocaustrelativierung, NS-Verherrlichung, Volksverhetzung, Sexismus, Misogynie, sexuellen Missbrauch, Verhöhnung von Toten, Ableismus, Islamfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung und Leichenschändung.

Polizist:innen aus Frankfurt am Main haben sich über Monate in einer WhatsApp-Gruppe ausgetauscht. Ihre Nachrichten sind so menschenverachtend, dass Ermittler darin mehr als 200 Straftaten sahen. Vor Gericht standen die Polizist:innen bis heute nicht. FragDenStaat und das ZDF Magazin Royale veröffentlichen erstmals den gesamten Chat, damit sich die Öffentlichkeit ein Bild davon machen kann, welches Verhalten in der Polizei Hessen bislang ohne ernsthafte Folgen bleibt. Hier ist der „Itiotentreff“.

„Die Gruppe wird viel zu böööhse … ausgezeichnet! 😁”, lautet der erste Satz in der neu gegründeten WhatsApp-Gruppe. Es ist kurz nach Mitternacht an einem Donnerstag im Oktober 2015 und der Absender ist ein Polizeioberkommissar der Polizei Hessen. Ein paar Sekunden später schickt ein anderer Mann drei Memes in den Chat. Auch er ist Polizeioberkommissar und Mitglied der Dienstgruppe 3 des 1. Frankfurter Polizeireviers. Die Bilder, die der zweite Polizist schickt: Ein Meme, das sich über dicke Frauen lustig macht, eines über vergewaltigte Frauen und eines, auf dem Adolf Hitler zu sehen ist. Damit ist der Ton gesetzt, in dem sich fortan sieben Frankfurter Polizist:innen und die Lebensgefährtin eines beteiligten Polizeibeamten in der Chatgruppe austauschen werden. In ihren Nachrichten verherrlichen sie den Nationalsozialismus und den Holocaust, sie amüsieren sich über Vergewaltigungen und Menschen mit Behinderungen, sie teilen massenhaft rassistische Inhalte und verhöhnen den Tod eines geflüchteten Kindes. Der Name ihrer Gruppe: Itiotentreff.

Warum veröffentlichen wir die Chatgruppe?

20:12

Am 11. September 2018 beschlagnahmen Ermittler das Mobiltelefon einer Frankfurter Polizeibeamtin. Auf dem Gerät finden sie einen WhatsApp-Chat mit mehreren Kollegen aus der Dienstgruppe der Polizistin. Über den Inhalt des Chats wird ein leitender Ermittler später sagen: „Das ist so widerwärtig, da dreht sich einem der Magen um.”

Seit Dezember 2018 haben zahlreiche Medien über die WhatsApp-Gruppe der Frankfurter Polizist:innen berichtet. Doch bis heute ist unklar, welche Inhalte genau hinter der abstrakten Formulierung von rechtsextremen und menschenverachtenden Chats stecken. Wie auch bei anderen aufgedeckten Polizeichats mit rechtsextremen Inhalten wurden bisher nur wenige beispielhafte Nachrichten öffentlich.

Wir veröffentlichen den Chat jetzt in nahezu vollem Umfang, um erstmals erfassbar zu machen, was es heißt, wenn von diesem rechtsextremen Polizeichat die Rede ist. Wir möchten zeigen, welche menschenverachtenden Inhalte die Polizist:innen geteilt haben, in welchem Umfang sie das getan haben und wie alltäglich dies für sie zu sein scheint. Und wir möchten zeigen, worüber sich hier Menschen amüsieren, die zuvor einen Eid auf das Grundgesetz geschworen haben, die Waffen tragen und Menschen auf der Straße kontrollieren dürfen oder Anzeigen von Vergewaltigungsopfern und Betroffenen rassistischer Gewalt aufnehmen sollen.

20:13

Um was geht es in dem Chat?

20:36

Die Chatgruppe der Frankfurter Polizist:innen war offenkundig von Beginn an darauf ausgelegt, moralische und zuweilen auch strafrechtliche Grenzen zu überschreiten. Bereits in den ersten Stunden der Chatgruppe teilen die Polizist:innen dutzende Bilder, die den Holocaust und den Nationalsozialismus verherrlichen, Menschen mit Behinderung verächtlich machen und Vergewaltigungen relativieren. Ein Polizist fordert die anderen Gruppenmitglieder auf, sie sollten „nicht nur genießen sondern auch krankes Zeug schicken”. Im Verlauf der folgenden zwölf Monate schicken sich die Mitglieder der Gruppe mehr als 750 Bilder und Videos, fast alle mit menschenverachtendem Inhalt.

Als ein Polizist am 2. Oktober 2015 zahlreiche rassistische Bilder unter Verwendung des N-Worts in die Gruppe sendet, antwortet ein Kollege: „Hahahaha heute is wohl rassisMUSS tag.” Im selben Muster erklären die Polizist:innen drei Tage später den „d***i tag” und schicken zahlreiche Bilder, die Menschen mit Trisomie 21 verächtlich machen.

Auch vor der Entwürdigung von Toten machen die Chatmitglieder nicht Halt. Mindestens 15 mal amüsieren sich die Polizist:innen über Alan Kurdi, ein syrischer Junge, der 2015 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken und an der türkischen Küste angespült worden war. Sie schicken Fotomontagen, in denen das tote Kleinkind von einem Fußballer getreten, als Surfbrett missbraucht oder von einem Hund bestiegen wird. Unter das Foto einer blutverschmierten toten Frau mit nacktem Oberkörper kommentiert ein Polizist: „Kann man auch aufwärmen”.

Sexualisierte Gewalt und Witze über Vergewaltigungen sind immer wieder Thema im Chat. Ob Memes über Klebeband, das aus einem „Nein, Nein, Nein” ein „sinnliches ,MMM, MMM, MMM’” mache oder explizite Gewaltpornographie – Sexualstraftaten scheinen für die Polizist:innen vorwiegend belustigend zu sein. „Schick dieses verdammte Video wo die alte Gangbanghure so vermöbelt wird”, fordert ein Polizist.

Zudem enthält der Chat mehrfach Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung einiger Mitglieder. Am 20. April schicken mehrere Polizisten Geburtstagsgrüße in den Chat. Keines der Mitglieder hat an diesem Tag Geburtstag – es ist das Geburtsdatum von Adolf Hitler. Im Dezember 2015 schickt ein Polizist das Foto einer Tüte Knöpfe, die seine Mutter auf dem Flohmarkt gefunden habe – dazwischen ein NS-Abzeichen mit Hakenkreuz: „Meine ma so : geil den behalten wa!” Seine Kollegen reagieren begeistert („Geil“, „Das is echt geil😂”, „Gute ma”). Dass es sich bei dem Nazi-Symbol um ein strafbares Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation handelt und man das Zeichen weder öffentlich zeigen noch zum Verkauf auslegen darf, scheint die Polizist:innen nicht zu interessieren.

Am 18. Januar 2016 postet einer der Polizist:innen kurz vor halb drei Uhr nachts einen Link in die Gruppe. Er führt zu einem Artikel über eine Entscheidung des Amtsgerichts Augsburg: Es sei rechtens, dass ein Polizist, der rassistische Sprüche und Hitlerbilder in einen Polizeichat geschickt hatte, deswegen suspendiert wurde. Allen beteiligten Polizist:innen muss also spätestens da klar gewesen sein, dass ihr Verhalten mindestens dienstrechtliche Konsequenzen haben kann. Trotzdem schicken die Gruppenmitglieder noch monatelang weiter menschenverachtende Inhalte. Sie glorifizieren den rassistischen Massenmörder Anders Breivik, verhöhnen die Opfer des organisierten Massenmords an mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden und teilen weitere bewundernde Bilder von Adolf Hitler. Nur ein Polizist war bereits im November 2015, nach nur drei Monaten wieder aus der Gruppe ausgetreten. Im veröffentlichten Chatverlauf ist er als „Polizist 5” gekennzeichnet.

In den rund 1600 Nachrichten, die die Mitglieder der Polizeichatgruppe innerhalb eines Jahres ausgetauscht haben, fand das hessische Landeskriminalamt insgesamt 211 Nachrichten mit strafrechtlicher Relevanz. Die Liste der mutmaßlichen Straftaten umfasst unter anderem: 94 mal Volksverhetzung (§ 130 StGB), 39 mal die Verbreitung von terroristischen und verfassungswidriger Kennzeichen wie dem Hakenkreuz (§ 86a StGB), 16 mal Verunglimpfung eines Verstorbenen (§ 189 StGB), und 13 mal Verherrlichende Darstellung von unmenschlicher Gewalt (§ 131 StGB). Wegen rund 100 Straftaten erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Januar 2022 schließlich Anklage gegen sechs Chatmitglieder, die sich besonders aktiv beteiligt hatten.

20:37

Welche Konsequenzen hatte die Chatgruppe?

21:04

Bis heute stand kein Mitglied der Chatgruppe deswegen vor Gericht. Strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit der Chatgruppe laufen seit Herbst 2018. Zuerst ermittelte die Frankfurter Polizei selbst gegen ihre Kolleg:innen, die sich im „Itiotentreff” ausgetauscht hatten. Erst nach mehr als drei Monaten wurden die Ermittlungen an das Landeskriminalamt abgegeben – zuvor hatte es erste Presseberichte zu der gefundenen Chatgruppe gegeben. Auch der Innenausschuss des hessischen Landtages wurde erst dann informiert.

Wegen der Inhalte, die fünf Polizist:innen und die Lebensgefährtin eines Beamten in der Gruppe geteilt haben, wirft ihnen die Staatsanwaltschaft zahlreiche Straftaten vor: Volksverhetzung, das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, die Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, der Besitz sowie die Verbreitung pornografischer Schriften und Darstellungen von Gewalt. Doch das Landgericht Frankfurt ließ im Februar 2023 die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zu. Die Chatinhalte seien nicht strafbar, weil sie nicht öffentlich verbreitet worden seien. Außerdem führte das Gericht in seinem Beschluss das Grundgesetz und das Recht auf Meinungsfreiheit an. Teile der Chatinhalte fielen unter Satire und seien von der Kunstfreiheit gedeckt. Gegen diese Entscheidung hat die Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt und das Landgericht aufgefordert, ein Hauptverfahren gegen die Chatmitglieder zu eröffnen. Ob und wenn ja, wann es zu einem Prozess kommt, ist derzeit unklar.

Alle Polizist:innen, die Mitglied in der Chatgruppe waren, sind bis heute Beamt:innen der Polizei Hessen. Nachdem die Chatgruppe „Itiotentreff” im September 2018 entdeckt wurde, dauerte es mehr als sechs Wochen, bis den beteiligten Polizist:innen die Führung der Dienstgeschäfte verboten wurde. In einem Fall folgte das Verbot erst nach drei Monaten. Die fünf Polizist:innen, die sich besonders aktiv in der Gruppe beteiligt haben, dürfen bis heute nicht in ihrem Job arbeiten, werden jedoch weiterhin fast alle in voller Höhe bezahlt. Ein Polizist erhält seit Mai 2023 nur noch 60 Prozent seiner früheren Bezüge. Insgesamt hat das Land Hessen in den fünf Jahren seit Entdeckung der Polizei-Chatgruppe Dienstbezüge in Höhe von rund einer Million Euro für die fünf Polizist:nnen bezahlt. Die Disziplinarverfahren gegen die Beamt:innen ruhen aktuell und sollen laut Frankfurter Polizei erst weitergeführt werden, wenn ein strafrechtliches Verfahren abgeschlossen ist. Dieses Vorgehen ist laut Disziplinargesetz möglich, jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Die Polizei Frankfurt am Main könnte die Polizist:innen also aus dem Dienstverhältnis entfernen, wenn sie wollte.

21:05

Ist das der vollständige Original-Polizeichat?

21:49

Wir veröffentlichen eine Rekonstruktion der Frankfurter Polizei-Chatgruppe, die wir für diesen Zweck aufbereitet haben.

Alle Namen und Telefonnummern der Gruppenmitglieder haben wir anonymisiert. Namen von Unbeteiligten, die im Chatverlauf genannt werden, haben wir geschwärzt.

Personen in Fotos und Memes haben wir unkenntlich gemacht, um deren Persönlichkeitsrechte zu wahren. Bilder mit rassistischem, antisemitischem, ableistischem, misogynem, queerfeindlichem, gewaltverherrlichendem oder anderweitig menschenfeindlichem Inhalt haben wir in den meisten Fällen teilweise unkenntlich gemacht, um eine Weiterverbreitung im menschenverachtenden Stil zu erschweren. In einigen Fällen haben wir menschenverachtende Inhalte durchscheinen lassen, um einen besseren Einblick in die Chatkultur der Gruppe zu ermöglichen. In einigen Fällen haben wir die Bilder entfernt und durch Beschreibungen ersetzt. Im Chat versendete Videos haben wir vollständig entfernt, da es sich dabei größtenteils um gewaltverherrlichende oder pornografische Inhalte handelt. In wenigen Fällen waren gesendete Bilder und Emojis aus unserem Ausgangsmaterial aus technischen Gründen nicht vollständig zu rekonstruieren.

Abgesehen davon entspricht der von uns veröffentlichte Chatverlauf vollständig der Chatgruppe auf den Mobiltelefonen beteiligter Polizist:innen.

21:50

Was sollte man wissen, bevor man den Chat ansieht?

22:23

Wir möchten noch einmal betonen: Der größte Teil der Chatinhalte ist menschenverachtend. Die Bilder, Videos und Texte, die in der Gruppe geteilt wurden, sind rassistisch, antisemitisch, sexistisch, ableistisch, queerfeindlich, islamfeindlich und misogyn. In ihren Nachrichten verharmlosen die beteiligten Polizist:innen den Holocaust und verherrlichen den Nationalsozialismus.

Die massive Konfrontation mit solchen gewaltverherrlichenden und menschenverachtenden Inhalten ist belastend. Seht euch den Chat nur an, wenn ihr euch dazu gerade in der Lage fühlt und holt euch Unterstützung, wenn es euch stark belastet. Unterstützung bekommt ihr beispielsweise unter https://online.telefonseelsorge.de/ oder beim Krisentelefon unter 0800 / 11 10 111.

22:24

Hier geht es zu der Rekonstruktion des Chats!

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