Zu unserem Umgang mit dem Text "Aufgedeckt [...]"



Zu unserem Umgang mit dem Text “Aufgedeckt: Kölner IL-Outing basiert auft gefälschten Beweisen und falschen Behauptungen”

Zur Chronologie: Am 16. Januar 2023 veröffentlichten wir den entsprechenden Beitrag, woraufhin am 20. und 25. Januar bei uns von der IL-Bremen zwei Beschwerden eingingen, dass wir diesen Beitrag veröffentlicht haben und damit Täterschutz betreiben würden. Nach kurzer Beratung innerhalb unseres Kollektivs, löschten wir den Beitrag am 26. Januar. Wir möchten uns, wie angekündigt, nun noch einmal ausführlicher zu diesem Komplex melden.

Wir denken, dass dieser Fall ein Anlass für eine notwendige Auseinandersetzung innerhalb der linksradikalen (Debatten-) Kultur sein könnte und deswegen empfanden wir ein ausführliches Statement unsererseits als wichtig.

Die Debatte ist stark polarisiert und wir haben nicht vor, die Gräben weiter zu vertiefen. Dennoch möchten wir Aspekte und Handlung benennen, die für uns irritierend waren. Wir hatten darüberhinaus das Gefühl, dass es (für uns) schwer war, eine gemeinsame Position zu dem Thema zu entwickeln, die aktuell ist und nicht von den vergangenen Veröffentlichungen bereits überholt wurde. Wir haben uns deshalb Zeit genommen, unseren Text zu formulieren. Das lag aber auch an Texten, die wir gerne in unserer Veröffentlichung berücksichtigen wollten, die sehr lange auf sich warten ließen, beispielsweise das Statement der IL vom 07. Februar.

Mit diesem Text werden wir keine Stellungnahme zu den Tatvorwürfen machen, weil wir es sowohl nicht können, als auch nicht wollen. Wir möchten uns vielmehr auf andere Fragen konzentrieren: Welche (emanzipatorischen) Praxen werden gerade wie angewandt? Was vermissen wir eigentlich in der aktuellen Debattenkultur der radikalen Linken (in diesem Fall)? Wir hätten außerdem gerne noch etwas zu Technik, Fakten und Subjektivität geschrieben, nach dem wir einen Absatz aus dem IL-Statement beginnend mit, "[e]ine solche Veröffentlichung ist politisch erschütternd, weil sie den Fokus einzig und allein auf das vermeintlich Wissenschaftliche und Technische rückt", gelesen haben. Aber das schaffen wir in diesem Text nicht mehr und muss daher vielleicht andernorts stattfinden.

Beginnen möchten wir mit der Kritik unseres eigenen Handelns. Dass wir den Text “Aufgedeckt […]” zur Veröffentlichung freigeschaltet haben, finden wir rückblickend schwierig. Wir sind uns da ehrlich gesagt aber auch nicht gänzlich einig. Wir sind uns allerdings einig darin, dass wir uns dabei (zu) stark auf die technischen Fakten und Aspekte des Textes fokussiert haben. Das möchten wir kurz erläutern. Der gelöschte Beitrag zweifelte die Glaubwürdigkeit bzw. die Existenz einer externen Quelle an, auf die sich die IL mit ihrem Outing stützt. Diese externe Quelle liefert den einzigen Hinweis auf die Existenz einer misogynen Chatgruppe. Die, in dem Beitrag dargelegte Manipulation des Mailverkehrs zwischen dieser Quelle und der Kontaktperson, lässt unserer Meinung nach tatsächlich an den Vorwürfen zweifeln - ohne, dass darüber die Existenz einer solchen Chatgruppe final ausgeschlossen werden kann. Die technische Manipulation fand statt (wir haben den entsprechenden Anhang ebenfalls analysiert), doch daraus folgt eben keine unmittelbare Kausalabfolge und damit auch nicht, dass keine Tat stattgefunden hat. Hat das Ganze damit jedoch einen stark fauligen Beigeschmack? Ja. Denn auf sehr wackligen Füßen ein derart weitreichendes Outing zu betreiben und zweifende Positionen durch den Vorwurf des Täterschutzes mundtot zu machen, erscheint uns falsch. Aus der Fälschung der Beweise lässt sich nicht ableiten, dass “die Beteiligten […] die gesamten Vorwürfe frei erfunden, die Mails der angeblichen anonymen Zeugin selbst verfasst und im Anschluss alles dafür getan [haben], auf Grundlage der von ihnen selbst produzierten „Beweise“ gegen den Beschuldigten und seine Familie vorzugehen”, wie es der Text “Aufgedeckt […]” formuliert. Die IL lässt aber immernoch die Frage offen, warum sie sich genötigt sah, gefäschte Beweise vorzubringen. Schließlich geht es doch in unseren Kämpfen um eine ematipative Perspektive, und nicht um Macht und Hierarchien, oder?   

Die Frage, die wir uns vor dem Löschen gestellt haben und auf die wir keine klare Antwort hatten, war, ob es in diesem ganz konkreten Fall Täterschutz ist, diesen Text veröffentlicht zu haben, da auch wir seine Beweisführung nicht gänzlich teilten? Wir waren uns unsicher, hatten Zweifel und haben deswegen den Text offline genommen, um für uns Ruhe in die Debatte zu bringen und damit Raum für Austausch zu schaffen.
Rückblickend finden wir auch das schwierig, wir haben weiter diskutiert. Der Fall hat weiteres Kontextwissen angespült, neue Texte wurden veröffentlicht, wie beispielsweise von der FLINTA-Kontaktgruppe “Statement zu den aktuellen Entwicklungen des IL-Outings in Köln”, den wir gut fanden. Wir befinden uns in einer Position, für die es in dieser stark polariserten Debatte kaum einen Platz zu geben scheint. Wir sprechen trotzdem von ihr aus, denn für uns haben sich generellere Fragen aufgetan, die hoffentlich über den Köln-Komplex hinausgehen.

Wie kann eine Debattenkultur erschaffen werden, in der es nicht nur okay, sondern auch begrüßenswert ist, zu sagen: “Hey, da haben wir wohl richtig Mist gebaut, tut uns leid!” und sich damit nicht in stoische Pfadabhängigkeit einmauern? Wie erhalten wir ein wichtiges Tool der emanzipatorischen Praxis, die Definitionsmacht, ohne, dass es bedeutungslos wird, weil seine Anwendung eine willkürliche Ausdehnung erfährt? Worauf wollen wir als radikale Linke eigentlich unsere Verbindungen, Trennungen, Solidarität aber auch Ausschlüsse aufbauen? Wie gehen wir mit einer großen Organisation um, die sehr oft intransparent war/ist und Kaderstrukturen aufweist? Sollten wir da nicht eher mistrauisch sein?

Wir haben keine Antworten, nur Ideen und Hoffnungen. Ruhig mal (an sich selbst) zweifeln und unsicher sein; Der Sprung ins kalte Wasser; Nicht an der alten Welt hängen bleiben; Fragend schreiten wir voran - was diese Phrasen verbindet und warum sie stets gute Begleiter*innen der linksradikalen Bewegung waren, ist die Selbstverständlichkeit dem Zweifel und der Unsicherheit gegenüber, um sich nicht ausschließlich wie ein Brummkreisel um die eigene Selbstvergewisserung zu drehen wie beispielsweise im Statement der IL vom 07. Februar: “Die Inkonsistenzen werfen zwar Fragen in Bezug auf den Ursprung einer Mail auf, sie ändern aber nichts an dem Umstand, dass ohne Wissen der Betroffenen intime Fotos und Beschreibungen eines Dates angefertigt und mit Dritten geteilt wurden.”

Ehrlich gesagt, liebe IL, das haben wir bei euch erwartet . Vielleicht gilt es aber auch zu sagen, das haben wir bei den Leuten der IL erwartet, die die entsprechenden Entscheidung getroffen, durchgesetzt, verteidigt und vor allem beibehalten haben (,aber vielleicht auch bei denen, die das stillschweigend mitgetragen haben).

Wir kommen nicht umhin, uns zum Thema Definitionsmacht bzw. ihrer Anwendung zu äußern. Es geht nicht darum, Definitionsmacht an sich zu hinterfragen oder die Notwendigkeit, Menschen zu kritisieren, die durch bewusste oder unbewusste patrichale Denk- und Handlungsweisen Täterschutz betreiben. Vielmehr geht es (uns) um die Schärfung der Praxis der Definitionsmacht. Schärfung, weil ihre Anwendung im diskutierten Fall jenseits einer grundlegenden Idee des Konzepts liegt/lag: Zweifel an den gemachten Erfahrungen, einer  betroffenen Person, zu verhindern. Im Kölner Fall greift dies jedoch nicht. Im Autonomen Blättchen (Nr. 51 , S.4) gibt es eine Aussage, die wir zitieren möchten, weil wir sie gleichermaßen für richtig und wichtig halten: “Bei den hier erwähnten Vorgängen, hängt die Feststellung dass Person B sexualisierte Gewalt gegen Person A ausgeübt hat aber nicht an Fragen der Glaubwürdigkeit der Betroffenen, sondern an der Glaubwürdigkeit der anonymen Quelle Z. Das zeichnet für uns ein anderes Bild. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, die nicht mit dem Konzept der Definitionsmacht beantwortet werden kann.”

Das Tool der Definitionsmacht ist super wichtig, aber wenn es für Fälle wie diesen herangezogen wird, dann verliert es seine Wirkmächtigkeit und wir verlieren damit einen wichtigen Hebel im Kampf gegen den patriarchalen Normalzustand. Die Übertragung eines Konzepts auf einen anderen Kontext birgt oftmals Risiken unterschiedlicher Art. Hier besteht das Risiko u.a. darin, dass durch die übertragene Definitionsmacht (auf eine unbeteiligte, anonyme Drittperson) der (Selbst-) Ermächtigungscharakter geschwächt wird, da die Anwendbarkeit (willkürlich) ausdehnbar scheint und damit letztlich zu einer Karrikatur ihrer selbst wird.

Unser weiterer Umgang mit dem Thema des gelöschten Textes “Aufgedeckt […]” ist daher folgender. Wir finden es unnötig (provokativ), den gelöschten Beitrag erneut zu veröffentlichen, stattdessen haben wir uns dazu entschlossen, die Links zu den uns bekannten Texten zu diesem Thema zu veröffentlichen. Dies ist Ergebnis unserer Diskussion und ermöglicht allen, selber die Texte zu lesen. Das Nebeneinander von Beschuldigung und Verteidigung ist nicht auf andere Fälle übertragbar! Wir hoffen sehr, dass sich dies aus dem zuvor Geschriebenen, sehr klar ableiten lässt.

Solidarische Grüße,
tumulte.org  

Quellen:
https://autonomesblaettchen.noblogs.org/files/2022/12/nr51web.pdf
https://de.indymedia.org/node/256229
https://gegendarstellungouting.wordpress.com/
https://gegendarstellungouting.wordpress.com/dies-ist-eine-gegendarstellung-zum-outing-der-beschuldigten-person-c-durch-die-interventionistische-linke-il-vom-11-juli-2022/
https://gegendarstellungouting.wordpress.com/aufgedeckt-kolner-il-outing-basiert-auf-gefalschten-beweisen-und-falschen-behauptungen/
https://feministischeperspektiven1.wordpress.com/

Das ursprüngliche Outing:
http://outing-koeln.org/
http://outing-koeln.org/#statement1