Gerichtsvollzieherin gnadenlos



Artikel kopiert aus der taz

Irina Schneider, die in Wirklichkeit anders heißt, und ihr Partner sind am 24. November aus ihrer Bremer Mietwohnung zwangsgeräumt worden – trotz eines gegenteiligen Beschlusses des Amtsgerichts Bremen vom selben Tag. Das Vorgehen der Gerichtsvollzieherin wirft nun Fragen auf. Sie sei „deutlich über ihre Befugnisse hinausgegangen“, kritisiert Enno Hinz, Vorstand des Vereins „Mieter helfen Mietern“, der die Räumung begleitet hat. Er ordnete die Räumung als rechtswidrig ein.

Das Urteil, auf dessen Grundlage geräumt werden sollte, ist über sechs Jahre alt – es stammt aus dem August 2016. Sie sei damals in Zahlungsverzug mit der Miete geraten, erzählt Schneider, weil ihr Partner erkrankt ist und das Altenheim, in dem sie als Pflegekraft gearbeitet hat, schließen musste. Geräumt wurden sie zu dem Zeitpunkt nicht, weil das Jobcenter den Mietrückstand in Form eines Darlehens bezahlt hat.

Im Oktober diesen Jahres erhielt Schneiders Partner dann einen Brief von der Zentralen Fachstelle Wohnen, in dem von einem Räumungstermin am 24. November die Rede war. „Von diesem Termin wussten wir bis dahin nichts“, beteuert Schneider. Eine offizielle Ankündigung von der Gerichtsvollzieherin sei nicht bei ihnen angekommen.

Die Zeit zum Handeln war knapp. Mit Unterstützung von „Mieter helfen Mietern“ stellte Schneider einen Antrag zum Räumungsschutz, der jedoch abgelehnt wurde. Drei Tage vor dem Räumungstermin reichte Rechtsanwalt Holger Gautzsch eine Vollstreckungsgegenklage und einen Eilantrag beim Amtsgericht ein. Diese schienen aussichtsreich: „Nach allgemeiner Rechtsauffassung hält ein Räumungstitel ungefähr zwei Jahre“, sagt Gautzsch.

10.000 Euro Kaution

Ein Beschluss zum Eilverfahren kam kurz vor dem Räumungstermin: Gegen eine Sicherheitsleitung von 10.000 Euro sollte das Verfahren gestoppt werden. „Die Gerichtsvollzieherin hätte mit der Vollstreckung warten müssen“, sagt Gautzsch. Eine Zahlung in dieser Höhe sei in so kurzer Zeit kaum möglich. Hinz zufolge hatte die Gerichtsvollzieherin aber „ersichtlich kein Interesse“, den Termin um eine Woche zu verschieben – wozu sie befugt gewesen wäre.

Der Anwalt wies auf die Unmöglichkeit hin, die 10.000 Euro kurzfristig zu beschaffen, woraufhin das Gericht seinen Beschluss nachbesserte: Die Zwangsvollstreckung werde ausgesetzt – ohne Sicherheitsleistung, heißt es in dem Dokument, das der taz vorliegt.

Schneider und ihr Partner hätten glaubhaft gemacht, dass sie die Zahlung nicht erbringen können. Schneider sagt, dass sie als Pflegedienstleitung gearbeitet habe, aber von ihrem Arbeitgeber kein Gehalt erhielt. Deshalb sei sie auch in Zahlungsrückstand mit der Miete gekommen.

Allerdings kam der nachgebesserte Beschluss erst, als die Räumung schon im Gange war. „Wir haben den Möbelpackern gesagt, dass sie die Arbeit einstellen können“, berichtet Hinz. Ein Teil der Wohnung sei schon geräumt gewesen. Die Gerichtsvollzieherin ordnete aber die Fortsetzung der Räumung an – obwohl sie den Beschluss kannte. „Sie hat behauptet, das wäre so mit der Richterin abgesprochen“, sagt Hinz.

Aus Sicht des Gerichts war die Räumung zum „Zeitpunkt des Beschlusses schon vollstreckt“. Das teilte ein Sprecher im Namen der zuständigen Richterin mit. Das Schloss zur Wohnung sei bereits gewechselt worden.

Gautzsch widerspricht dieser Darstellung: „Allein das Schloss auszutauschen reicht nicht – die Wohnung war noch nicht geräumt.“ Außerdem hätten noch bis zum Nachmittag die Schlüssel der Mie­te­r*in­nen im Schloss gesteckt. Es sei also nicht getauscht worden. Der Gerichtsbeschluss sei der Gerichtsvollzieherin schon am Vormittag bekannt gewesen.

„Spätestens die Fortsetzung der Räumung in Kenntnis des zweiten Beschlusses war rechtswidrig“, sagt Mietervereinsvorstand Hinz. Die Gerichtsvollzieherin hätte die Räumung zu diesem Zeitpunkt von Amts wegen einstellen müssen. Zu ihrem Vorgehen hat die Gerichtsvollzieherin gegenüber der taz bislang keine Stellung bezogen.

Nicht nur zur Räumung selbst bleiben Fragen offen, sondern auch zu deren Vorgeschichte. So kann Schneider nur mutmaßen, was mit dem Ankündigungsschreiben passiert ist. Ihr Briefkasten sei frei zugänglich gewesen und „der Briefschlitz verbogen“. Sie nimmt an, dass der Brief gezielt abgefangen wurde. Im Verdacht hat Schneider ihren Vermieter und dessen Verwandte, die im Nachbarhaus wohnen.

„Wir hatten ein familiäres Verhältnis zueinander“, sagt Schneider. Ihr Partner habe etwa unentgeltlich den Schwager des Vermieters gepflegt. Schon das Räumungsverfahren 2016 sei für sie überraschend gewesen, weil ihr Vermieter sie für das Darlehen noch zum Jobcenter begleite habe. Auch das Urteil sei damals nicht postalisch bei ihr angekommen.

Durchs Dach geregnet

Der Vermieter will sich grundsätzlich nicht zu dem Fall äußern. Schneider wirft ihm vor, er habe die Wohnung verfallen lassen. „Die Fenster waren undicht, es hat durchs Dach reingeregnet und es gab ein Rattenproblem“, sagt Schneider. Sie habe daher im Mai eine Monatsmiete einbehalten.

Für den Moment ist Schneider mit ihrem Partner und ihren zwei Hunden in einem kleinen Hotelzimmer unterkommen. In Bremer Notunterkünften sind Hunde nicht zugelassen und ins Tierheim will Schneider die Tiere unter keinen Umständen geben. „Es gibt bis jetzt keine Perspektive, wer die Hotelkosten übernimmt“, sagt sie.

Sie sei abwechselnd bei der Fachstelle Wohnen und beim Jobcenter, aber es gehe „einfach zu langsam“ und die Verantwortung werde hin und her geschoben. Ihre Möbel seien in ein Lager gebracht worden, das in den kommenden Wochen geschlossen ist – wegen Auktionsterminen und Feiertagen. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Schneider.