Das Atlas-Problem



Das Atlas-Problem

Fußball wird immer wieder als unpolitisch missverstanden. Was passiert, wenn man dieses Credo anwendet, lässt sich bei unseren Nachbar:innen von Atlas Delmenhorst erkennen: Es kann stellenweise ganz schön unappetitlich werden. Wir, (explizit) die Fanszene BSV, möchten darüber aufklären, ohne den ganzen Verein unter Generalverdacht zu stellen. Aber trotzdem:

Was ist das Atlas-Problem?

Aus unserer Sicht zeigt sich der SV Atlas Delmenhorst (SVA) immer wieder offen nach rechts. Extrem rechte Gesinnungen sind im Stadion am Düsternort immer wieder anzutreffen. Nach dem Spiel des Bremer SV gegen Atlas hat die Polizei Ermittlungen aufgenommen, da laut mehreren Augenzeugen im Gästeblock des Panzenbergs mutmaßlich der Hitlergruß gezeigt wurde. Außerhalb des Stadions lassen sich ebenfalls Verbindungen von Atlas-Fans zu rechtsextremer Prominenz belegen. Werden Fans und Verein darauf angesprochen, heißt es stets, man sei unpolitisch. Aber Fußball ist aufgrund seiner gesellschaftlichen Bedeutung immer politisch. Und wer sich von Neonazis nicht abgrenzt, guckt im Zweifel weg oder läuft mit. Gegen rechts zu sein, ist ein Akt der Zivilcourage.

Was hat das mit der Fanszene BSV zu tun?

Zum Aufstieg in die Regionalliga Nord haben wir mit dem „Überregional“ ein Fanzine zu unserem Verein und der neuen Liga gemacht. Darin machen wir zudem unsere Haltung zu bestimmten Themen und Vereinen deutlich – auch zu Atlas Delmenhorst. Dass man dort nicht gerne in die rechte Ecke gestellt wird, überrascht nicht. Aber der SVA hat ein Problem, das Verein und Umfeld nicht als solches erkennen und bearbeiten. Stattdessen beschwerte man sich beim Bremer SV und den Verbänden über uns – im Stillen. An die Öffentlichkeit oder direkt an uns hat sich der SVA nicht gewandt. Aber wir klären gerne weiter auf. Wir wollen an dieser Stelle auch deutlich machen, dass Personen mit rechtem Gedankengut bei uns ausdrücklich unerwünscht sind.

Das Atlas-Problem: Welche Akteure gibt es?

Ganz oben steht der Block H, der tonangebende Fanclub von Atlas Delmenhorst. In schwarz gekleidet, tritt man gerne martialisch und einschüchternd auf. Wie der Block H sich selbst und sein „unpolitisches“ Fandasein definiert, wird in Interviews der zwei Hauptprotagonisten des Block Hs, Florian Ahlers und Timo Conrad, deutlich. Angesprochen auf Vorwürfe von Rechtsextremismus stellte Conrad 2019 klar: „Viele Leute stört es einfach, dass wir uns nicht klar abgrenzen. Wir sind eine unpolitische Gruppe und bleiben es auch.“ Im Jahr 2021 erklärte er: „Auch wenn viele Leute sagen, dass es unpolitisch nicht gibt: Wir sind es. Und Fußball ist für uns auch unpolitisch. Ich glaube auch nicht, dass Distanzierungen irgendwas bringen.Allerdings gibt es unter vielen Atlas-Fans dennoch einen rechten Konsens.

Und wie sieht das Atlas-Problem praktisch aus?

Für uns stellt sich die Frage, was hier als „Politik“ begriffen wird, und ob der SVA und seine Anhänger in der Lage sind, Rassismus, Sexismus und Frauenfeindlichkeit als das zu erkennen, was es nun mal ist: politisch. „Wir schreien keine politischen Parolen“, heißt es stattdessen. Nun gut, aber Sätze wie „Fußball ist ein Männersport… Ihr F*tzen“, „Schwuler, Schwuler…“ aus dem Block H, wenn ein gegnerischer Spieler gefoult auf dem Boden liegt oder „Warum seid ihr H*ren so leise“, wie erst beim Spiel gegen Kickers Emden am 5. oder gegen uns am 13. November 2022, zeigen: Sexismus und Homophobie gelten in Delmenhorst offensichtlich als unpolitische Bestandteile von Fußball. Dazu gibt es belegbare Verbindungen zu rechten Fans von Rot-Weiß Essen. Auch der Block H erklärt öffentlich, dass die rechtsextreme, mittlerweile aufgelöste Gruppe Farge Ultras bei Spielen in Delmenhorst unterstützt hat.

In Bremen ist auch der Schal-Vorfall zum DFB-Pokalspiel Atlas gegen Werder bekannt: Dort hatte der SV Werder nach Kritik aus der eigenen Fanszene den vom SV Atlas entworfenen Spieltagsschal aus dem Programm genommen. Hintergrund war der darauf zu lesende Satz „Auf gute Freunde“, eine Anlehnung an einen Song der Böhsen Onkelz. Die Onkelz sprechen aufgrund ihrer Vergangenheit und auch durch ihre Texte eine gewisse Klientel an und rechte Positionen werden in dieser Klientel teilweise weiterhin bedient. Das hält Atlas nicht davon ab, die Onkelz im eigenen Stadion zu spielen.

Auch das ehemalige AfD-Stadtratsmitglied Rainer Kutz wurde 2019 bei einem Atlas-Spiel bereits in einem Borussenfront-Shirt gesehen, eine aufgelöste neonazistische Hooligangruppe des BVB, die unter anderem bundesweit durch den Fascho „SS Siggi“ Borchardt bekannt wurde. Dennoch leugnete Kutz später gegenüber dem Weser-Kurier seine Gesinnung.

Welche Position bezieht der SV Atlas dazu?

Der SVA verurteilt öffentlich zwar gelegentlich neonazistisches Gedankengut, beruft sich dabei fast immer aber auf die bekannte „Unpolitisch-Rhetorik“. Dabei ist man sich nicht zu schade, widersprüchlich zu sein. So schreibt man nach der Veröffentlichung unseres „Überregional“ zum Spiel gegen Teutonia Ottensen am 11. September 2022 in die Stadionzeitung: „Wir sind tatsächlich unpolitisch oder im Gegensatz noch viel wichtiger ideologiefrei.

Im Leitbild von Atlas Delmenhorst vom 4. April 2020 heißt es jedoch: „Der SV Atlas weiß um seine soziale Verantwortung und steht für Fairness, Toleranz und gegenseitigen Respekt. Und damit gegen jede Form von Gewalt und Diskriminierung! Wir verurteilen rassistische, fremdenfeindliche, gewaltverherrlichende sowie verfassungs- oder demokratiefeindliche Bekundungen und gehen dagegen vor. Egal welche Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Abstammung bzw. ethnische Herkunft – der SV Atlas ist bunt und für jeden offen.“ Das klingt in der Theorie auch sehr schön. Für Block H scheint das „Leitbild“ jedoch offensichtlich nicht zu gelten – im Verein und Umfeld anscheinend nicht von großem Interesse. Atlas-Vorstand Stefan Keller bezeichnete Block H gegenüber der Taz Mitte November 2022 als „sehr fußballeigen“ – was auch immer er damit sagen möchte.

Auch die im Zusammenhang mit dem AfD-Politiker im Nazishirt angekündigte Überarbeitung der Stadionordnung für ein Verbot des Zeigens rechtsradikaler Symbole wurde nie umgesetzt. Stattdessen erklärte der Atlas-Vorstand öffentlich, dass man die Entschuldigung des ehemaligen AfD-Ratsmitgliedes „angenommen“ habe und dieser mit einem anderen T-Shirt wieder zu Spielen kommen dürfe.

Ist ganz Atlas Delmenhorst jetzt ein Problemfall?

Nein. Auch wir haben Fans von Atlas wahrgenommen, die sich eindeutig gegen Block H und Co. positioniert haben. Wir haben vor dem letzten Derby die Regenbogen-Fahne am Gästeblock im Stadion am Panzenberg registriert, aber leider auch ihr Verschwinden mit dem Eintreffen des schwarzen Blocks. Unser Anliegen ist es zudem nicht, einen Nachbarverein zu diskreditieren. Uns geht es alleine um Aufklärung und die Hoffnung, dass mehr Menschen die Augen nicht verschließen und Haltung einnehmen. Wir möchten verdeutlichen, worum es uns als Fanszene BSV in dieser Angelegenheit eigentlich geht, und dass wir uns keineswegs einfach etwas ausgedacht haben.

Und was ist mit dem BSV?

Zunächst einmal betonen wir: Der Bremer SV ist nicht für das „Überregional“ oder auch diese Schrift verantwortlich. Wir wissen, dass Vertreter:innen diverser Parteien den BSV unterstützen – als Fan, als Vereinsmitglied. Den meisten davon ist bewusst, dass Wahlkampf und Parteipolitik bei uns unerwünscht sind. Bei uns, der Fanszene BSV, kommt noch hinzu, dass Anhänger:innen rechter Parteien und rechten Gedankenguts ausdrücklich unerwünscht sind. DAS hat beim Fußball nichts zu suchen.

Politik jedoch hat sehr wohl etwas beim Fußball zu suchen. Unpolitisch gibt es nicht: Wenn der Bremer SV etwa eine Regenbogenfahne aufhängt oder mit Kapitänsbinde in Regenbogenfarben aufläuft, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kck Nzs“ („Kack Nazis“) vertreibt oder einen „Love Football – Hate rasicm“-Patch auf dem Trikot trägt; wenn sich ein Verein gegen Rassismus, Diskriminierung und Homophobie positioniert, so mag das heutzutage eine Selbstverständlichkeit sein. Zumindest auf dem Papier. Unpolitisch ist es aber sicher nicht.

Fanszene BSV, November 2022

Quelle: https://blockhsva.noblogs.org/