Autonome Geschichte: Ende einer Verfassungsschutzobservation 1981



Die Männer, die sich am 24. Juni in der Graudenzer Straße 21 zu Bremen einquartierten, waren vom Verfassungsschutz. Als Handwerker getarnt, schleppten sie Aluminiumkisten und Pappkartons in die Dachwohnung –Mikrophone, Kameras, elektronische Apparaturen.
Die Profis wurden beobachtet. Anrainer beäugten argwöhnisch den Einzug der Fremden. Als die dann am nächsten Tag hinter Mauervorsprüngen und aufgespannten Handtüchern Teleobjektive und Videokameras aufbauten, war die Sache klar.
Das konnten »nur die Jungs vom Verfassungsschutz sein«, brachte ein Bewohner der gegenüberliegenden Wohngemeinschaft die Erkenntnis auf den Punkt. »Und ihre Arbeitsweise lernten wir durch Beobachtung schnell kennen«, vermerkte später ein Flugblatt.
Die beamteten Späher hatten es auf Wohngemeinschaften der Häuser gegenüber abgesehen: Drei der jungen Leute waren bei der Polizei aktenkundig und nun »Zielpersonen« des Verfassungsschutzes. Einer hatte 1978 an einer Anti-Kernkraftaktion teilgenommen; ein anderer war während der Bremer Krawalle bei der öffentlichen Rekruten-Vereidigung im vergangenen Jahr mit der Polizei aneinandergeraten; gegen eine dritte Bewohnerin lief ein Verfahren wegen »Verunglimpfung des Staates«.

Wenn auf der anderen Straßenseite Besuch per Wagen kam, notierten sich die Beamten die Autonummern, gelegentlich kontrollierten sie die Namensschilder an den Haustüren, ob ihnen etwa am arbeitsfreien Vormittag frischer Zuzug entgangen sein könnte.
Unterdessen formierten sich allerdings die Observierten. Weil ihnen die Haustür-Forschung »langsam auf den Geist ging« und »wir eh keinen Bock hatten, uns photographieren zu lassen«, kamen sie überein, die Verfassungsschützer zu vertreiben.

Was dann, am Dienstag vorletzter Woche, geschah, las sich in einer ‘ruckschrift’ später so: Gegen 19 Uhr also klingelte jemand in besagtem Haus, damit die verschlossene Haustür geöffnet wird. Der Spruch: ‘Ich muß mal eben zu den Kollegen’ tat seine Wirkung - die Haustür wurde …von innen geöffnet … In der Dachgeschoßwohnung befanden sich zwei Frauen, wovon eine sofort runter lief, die andere in ihrem Funkgerät um Hilfe schrie… Gleichzeitig rutschten die Stecker verschiedener Geräte aus den Steckdosen, und der erste Monitor setzte zur Flucht aus dem Fenster an. Ihm folgten, vom plötzlichen Drang zur Freiheit getrieben, auch die meisten anderen Geräte …’

Oder anders: Die Observierten drangen bei den Observanten ein, feuerten das Staatsschutzwerkzeug durchs Fenster und verschreckten die beiden anwesenden Damen vom Dienst zutiefst. Erheblicher als der Sachschaden (“Zwanzig- bis dreißigtausend Mark”), den die Besetzer laut Polizeiangaben bei diesem »Hausfriedensbruch« verursachten, war die logistische Schlappe, die der Bremer Verfassungsschutz hinnehmen mußte.

Durch die überhastete Flucht der Staatsschützer blieben Fahrzeugschein und Meldedokumente zurück, fielen den Wohnungsstürmern Notizbücher in die Hände, deren Beobachtungsberichte bis 1976 zurückreichen, verschwand »vertrauliches Material«, wenngleich nicht für lange.

Die Ansammlung behördlicher Unterlagen und Erkenntnisse tauchte eine Woche später wieder auf, freilich nur in Auszügen, dafür aber in tausendfacher Auflage - als anonym herausgegebene »Dokumentation«. Doch schon dieser Teil des Materials brachte die Behörden in Schwierigkeiten.

»Wir sind«, beschreibt ein hoher Beamter aus dem Dienst die Situation des Landesverfassungsschutzes nach dem Erscheinen der vielsagenden Broschüren, »nur beschränkt arbeitsfähig, wenn überhaupt.«

Seitdem ist die Behörde damit beschäftigt, die so unvermutet bloßgelegte Infrastruktur der Verfassungsschutzarbeit neu zu ordnen und abzusichern. Die Telephonnummer 362-4310 beispielsweise, unter der sich Verfassungsschützer (Codewort »Blut und Tränen") bislang Weisung aus der »Verkehrsabteilung« holten und die direkt ins Innenministerium führt, müssen die Staatsschützer nun ebenso ändern, wie sie eine Reihe von Agenten mit neuer Identität auszustatten haben.

Verfassungsschützer, die mit Telephonnummer und Privatanschrift in der »Dokumentation« aufgeführt sind, wurden letzte Woche erst mal aus der vordersten Linie abgezogen. Wer dem Verfassungsschutz in die Notizbücher geschaut hat, weiß die Polizei bislang auch nicht so recht. »Drei Personen« glaubt die Behörde bislang wiedererkannt zu haben, Mitglieder jener Wohngemeinschaften, die unter Beobachtung standen.

Über die Beurteilung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten sind sich die politischen Parteien in Bremen und auch die Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz einig. »Dilettantisch« bezeichnet deren Vorsitzender und CDU-Chef Bernd Neumann die Arbeit der Staatsschützer. Nach Ansicht des FDP-Fraktionsvorsitzenden in der Bürgerschaft, Hans-Jürgen Lahmann, »hat sich der Verfassungsschutz schwer geschadet«, und auch die SPD hält mit Kritik nicht hinter dem Berg – freilich nur, was das tölpelhafte Verhalten der Beamten angeht. Der V-Einsatz selber erscheint den Parteien gerechtfertigt.

Den Leiter des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz, Peter Galle, konnte die Affäre nicht mehr treffen. Er hatte nach Angaben der Innenbehörde kurz zuvor bereits um Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand gebeten, aus gesundheitlichen Gründen. Aber sein Abgang wäre auch sonst kaum zu vermeiden gewesen – der Bremer Verfassungsschutz hatte sich unter seiner Amtsführung nur als recht bedingt tauglich erwiesen. So überwachten seine Beamten zwar bis vor zwei Jahren die Betriebswahlen bei der Straßenbahn wie beim »Weser-Kurier«, doch andererseits kontrollierte der DDR-Geheimdienst die Post des Landesamtes, weil die Briefe samstags nie aus dem Schließfach abgeholt wurden.

Gleichfalls im vergangenen Jahr beichtete Galle dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, daß seine Behörde bei den Krawallen um die öffentliche Rekrutenvereidigung am 6. Mai 1980 ihren Aufgaben nicht nachgekommen sei, wie es »nötig gewesen wäre«.

Eifer zeigte der Bremer Verfassungsschutz stets, vom Handwerk verstand er offenbar wenig. »Das erkennbare Ausmaß der Aktivitäten«, schrieb der »Weser-Kurier« vor zwei Jahren, »der offensichtliche Übereifer, mit dem seit Jahren observiert, ermittelt und registriert wird, erschrecken und machen mißtrauisch.«

Im März dieses Jahres verabschiedete die Bremer Bürgerschaft eine Gesetzesnovelle, wonach »die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel« erst dann zulässig ist, wenn »tatsächliche Anhaltspunkte« für grundgesetzwidriges Handeln ausgemacht sind. »Nachdem wir nun kaum noch was zu sagen haben«, so der ironisch-selbstironische Kommentar eines Staatsschützers, »machen wir jetzt halt von uns reden.«